Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/inland/... 2020-01-14 09:17:54, skaitė 604, komentavo 0
von Susan Bonath
Wo Immobilien nicht den Bedürfnissen der Allgemeinheit, sondern der Rendite ihrer Besitzer dienen, leidet der ärmere Teil der Bevölkerung zusehends. Auch in Deutschland steigen die Mieten, bezahlbaren Wohnraum zu finden, wird für einen wachsenden Teil der Lohnabhängigen zum Albtraum. Am schwersten hat es, wer erwerbslos ist oder ein niedriges Einkommen mit Hartz IV aufstocken muss.
Für diese Menschen gelten von der Kommune festgesetzte Mietobergrenzen, die großteils der Realität nicht standhalten. Um die Kosten möglichst niedrig zu halten, negierte das Jobcenter im thüringischen Unstrut-Hainich-Kreis sogar fast ein Jahr lang ein höchstrichterliches Urteil. Das Sozialgericht Nordhausen stärkte nun Anfang Januar geprellten Bedürftigen den Rücken. Das Amt muss den neun Klägern nicht nur vorenthaltene Beträge erstatten, sondern auch 2.400 Euro Missbrauchsgebühren an die Staatskasse zahlen.
Die Leistungsbezieher waren vor Gericht gezogen, weil das Jobcenter nicht ihre volle Miete anerkannt hatte. Ein Kläger war beispielsweise wie vom Jobcenter verlangt in eine kleinere Wohnung gezogen. Dennoch hatte sich die Behörde geweigert, alle Wohnkosten zu übernehmen. In einem anderen Fall hatte das in Mühlhausen ansässige Jobcenter nur die Mietpauschalen für zwei Personen übernommen, obgleich die Familie drei Mitglieder hatte.
Dies konnte geschehen, weil "das beklagte Jobcenter trotz dreimaliger Aufforderung die Richtlinie nicht nachgebessert hat", erklärte Richterin Gabriele Löffelholz zum Urteil gegenüber lokalen Medien. Das Amt habe damit fortgesetzt ein Grundsatzurteil ignoriert. Das Gericht sprach in Bezug auf die Missbrauchsgebühren zudem von einem "selten praktizierten Vorgang".
Bei Mietobergrenzen geschummelt
Hintergrund ist die Richtlinie des Landkreises für Kosten der Unterkunft und Heizung, in der die Mietobergrenzen für Hartz-IV-Betroffene geregelt sind. Am 30. Januar 2019 hatte das Bundessozialgericht (BSG) den Jobcentern – nicht zum ersten Mal – per Grundsatzurteil auferlegt, entweder ihre Vorgaben für die Mietobergrenzen schlüssig zu begründen oder die Richtlinien am Niveau des Wohngeldes zu orientieren. Die meisten Jobcenter haben ihre Mietobergrenzen weit unter den Wohngeldregeln festgesetzt, was immer wieder von Sozialverbänden kritisiert wird.
Konkret beklagt waren vor einem Jahr mehrere Behörden in Sachsen-Anhalt sowie ein Jobcenter in Schleswig-Holstein. Deren Richtlinien hatte die Firma Analyse & Konzepte (A&K) aus Hamburg für die Kommunen erarbeitet. Immer wieder kassierten Gerichte in der Vergangenheit Konzepte dieses Unternehmens.
Das BSG hatte die Jobcenter unter anderem aufgefordert, die rechtswidrige Praxis mit sogenannten "Wohnungsmarkttypen" zu beenden. Das heißt: Die teilweise sehr großen Landkreise, wie etwa der sachsen-anhaltische Bördekreis, hatten verschiedene Mietobergrenzen auf ihrem Gebiet, jedoch nur einen einzigen Vergleichsraum festgesetzt.
Das Problem dabei: Leistungsbezieher, deren Miete den jeweiligen Grenzwert übersteigt, müssen umziehen, um ihre "Kosten zu senken". Das Jobcenter kann sie für die Wohnungssuche auf den gesamten Vergleichsraum verweisen – sowohl in der Stadt als auf dem Land. Wenn nun eine Familie im günstigeren ländlichen Raum lebt, aber nur eine Wohnung in der Stadt finden kann, zahlt das Amt häufig auch dann zu wenig, wenn die Bleibe dortigen Angemessenheitskriterien entspricht. Denn laut Gesetz darf die neue Miete innerhalb eines Vergleichsraumes nicht über den früheren Wohnkosten liegen. Die Praxis der beklagten Jobcenter konnte somit Menschen in mangelhaften Wohnverhältnissen zum Verhängnis werden.
Nur einige der damals beklagten Ämter haben das BSG-Urteil bisher umgesetzt, so der Landkreis Börde und der Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt, nicht aber der Landkreis Harz (alle in Sachsen-Anhalt). Das Grundsatzurteil gilt darüber hinaus allerdings für alle Jobcenter bundesweit. Der Unstrut-Hainich-Kreis hatte das ignoriert. Laut noch immer abrufbarer rechtswidriger Richtlinie darf ein Alleinstehender dort je nach Wohnort 247, 252 oder 263 Euro Miete inklusive kalter Betriebskosten, aber ohne Heizung, zahlen. Thüringer Wohnungsgesellschaften hatten die Sätze im vergangenen Jahr als viel zu niedrig angemahnt.
Wachsende Kluft zwischen realen und anerkannten Wohnkosten
Das Problem mit zu niedrigen Mietobergrenzen ist nicht nur seit Jahren bekannt. Es verschärft sich mit steigenden Mieten zusehends, die Lücke zwischen Vorgaben und Realität wächst. So bezahlten im zuletzt von der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausgewerteten Monat September 2019 die insgesamt 2,85 Millionen Familien, die Hartz IV komplett oder als Aufstockung zum Erwerbseinkommen bezogen – auf Amtsdeutsch: Bedarfsgemeinschaften –, insgesamt rund 1,439 Milliarden Euro Miete. Die Behörden erkannten davon allerdings nur 1,393 Milliarden Euro an. Das heißt: Insgesamt blieben Betroffene in diesem einen Monat auf etwa 46 Millionen Euro sitzen.
Wie eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag vergangenes Jahr ergeben hatte, zahlten Hartz-IV-Betroffene im gesamten Jahr 2018 rund 600 Millionen Euro drauf, weil ihre Wohnungen mehr kosteten, als es die Obergrenzen der jeweiligen Kommunen erlaubten. Die Auswertung zeigte auch, dass jeder fünfte Haushalt im vorvergangenen Jahr fast 1.000 Euro – monatlich rund 82 Euro – aus dem Regelsatz zusätzlich für die Miete aufbringen musste. Ein Alleinstehender musste die Summe von den 416 Euro zahlen, die ihm seinerzeit für Nahrung, Strom, Telefon und sonstige Ausgaben monatlich zustanden.
Seit ersten Januar 2020 bekommen allein lebende Bezieher von Hartz IV und Sozialhilfe einen Monatssatz von 432 Euro. Wenn sie arbeiten, bleiben ihnen zusätzlich einige Freibeträge. Dazu gehört der Grundfreibetrag von 100 Euro. Von jedem darüber liegenden Einkommen bis unter 1.000 Euro dürfen sie 20 Prozent behalten, bis ihr Anspruch erlischt. Für Familien mit mehreren Personen und höheren Ansprüchen gilt zudem ein Freibetrag von zehn Prozent für jedes Einkommen über der 1.000-Euro-Grenze.
Alleinstehende Flüchtlinge, die Asylbewerberleistungen bekommen, erhalten ab 2020 lediglich 351 Euro, also 81 Euro weniger als Hartz-lV- und Sozialhilfe-Bezieher. Auch die Regelsätze für Familienangehörige und Kinder liegen um rund 30 bis 60 Euro darunter. Die Bundesregierung begründet die Unterschiede damit, dass ihnen Strom als Sachleistung gewährt wird und in Massenunterkünften Möbel vorhanden sind.
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