Die Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak (Teil III)

Autorius: RT Šaltinis: https://deutsch.rt.com/meinung... 2020-05-25 09:15:00, skaitė 827, komentavo 0

Die Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak (Teil III)

Irakische Sicherheitskräfte bei einer Militäroperationen in der Provinz al-Anbar, in der der IS wieder erstarkt ist.

Vermutlich mit aktiver, aber ganz sicher mit passiver Hilfe der USA hat der "Islamische Staat" (IS) im letzten halben Jahr die politischen Wirren in Bagdad genutzt, um sich neu zu formieren. In einigen irakischen Provinzen ist die Terrormiliz inzwischen wieder in der militärischen Offensive.

von Rainer Rupp

Teil I und II können Sie hier bzw. hier nachlesen.

Eine jüngste Lageeinschätzung von Elijah J. Magnier, einem renommierten Kenner der Region, schildert auf anschauliche Weise, wie der "Islamische Staat" (IS) vor allem in den letzten drei Monaten in den irakischen Grenzregionen zu Syrien die militärische Bereitschaft der irakischen Sicherheitskräfte testet. Die Terrormiliz ist seit Beginn des Jahres, für die Politiker in Bagdad völlig unerwartet, praktisch aus dem Nichts wieder erstarkt. Dabei hat sich die Terrororganisation geschickt die zunehmenden politischen Konflikte zwischen den USA und dem Irak einerseits und den USA und dem Iran andererseits zunutze gemacht. 

Zugleich weiß der IS ganz genau, wo in den verschiedenen Teilen des Irak Sicherheitslücken bestehen, insbesondere entlang der irakisch-syrischen Grenze in der Provinz al-Anbar. Dort hat die US-Armee – auf der anderen Seite der irakischen Grenzübergänge bei al-Qa'im und al-Walid – das Sagen und kontrolliert die Verbindungswege. Dort war und ist der IS bis heute vor der syrischen Armee und den Russen in Sicherheit und kann auch unerkannt über die Grenze, hinüber in den Irak.

Der IS kennt aus der Vergangenheit jene Regionen, wo er unter sunnitischen Stämmen noch mit Unterstützung rechnen kann, wozu auch die Provinz al-Anbar zählt. Dort münden auch an den beiden Grenzübergängen al-Qa'im und al-Walid die einzigen gut befahrbaren Straßen über die Grenze. Das ist natürlich interessant für die "vielen IS-Kämpfer, die es irgendwie geschafft haben, aus dem syrischen Gefangenenlager in der nordöstlichen Stadt al-Hasaka zu entkommen", meint Elijah Magnier. In dem Lager waren zwischen 11.000 bis 12.000 Terroristen interniert, die entweder bei Kämpfen gegen die mit den USA verbündeten Milizen der kurdischen "Demokratischen Kräfte Syriens (SDF)" gefangenen genommen worden waren oder die sich auf der Flucht ergeben hatten.

Formal stand das Lager unter der Verantwortung der SDF, de facto aber unter der Oberaufsicht der US-Amerikaner, die eine Auslieferung dieser grausamen islamistischen Söldner und Kopfabschneider an die syrische oder irakische Regierung aus angeblich "humanitären" Gründen verhinderten. Der wahre Grund dürfte jedoch gewesen sein, dass man in Washington diese wertvolle Trumpfkarte "IS" so schnell noch nicht aus der Hand geben wollte. Angesichts der Tatsache, dass die USA noch immer weit entfernt waren von der Erreichung ihrer Ziele in Syrien und sich auch im Irak verstärkte Tendenzen gegen den weiteren Verbleib des US-Militärs und zur Wiedererlangung der vollen nationalen Souveränität zeigten, würde der IS als bewährter, "nützlicher Feind" auch in Zukunft womöglich noch gute Dienste leisten können.

Anfang letzten Jahres war das IS-Gefangenenlager bei al-Hasaka Berichten von Besuchern zufolge noch gut bewacht. Während der Invasion der kurdischen Gebiete durch die Türken im Oktober 2019 hat die SDF-Führung allerdings die meisten ihrer Kämpfer vom Gefängniswachdienst abgezogen und an die Front gegen die Türken geschickt.

Etwa zur gleichen Zeit begannen im Irak Massendemonstrationen gegen die Regierung und in der Regierung und im Parlament verstärkte sich die antiamerikanische Stimmung. Auf wundersame Weise begann genau zu dieser Zeit im IS-Gefangenenlager in al-Hasaka ein Schwund der Insassen. Heute hört man, das Lager sei so gut wie leer. Nach Norden in Richtung syrischer Armee und Russen hatten sich die IS-Terroristen sicherlich nicht abgesetzt. Allerdings ist der irakische Grenzübergang al-Qa'im in der Provinz al-Anbar lediglich 330 Straßenkilometer von al-Hasaka entfernt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Laut Elijah Magnier scheint es, dass viele der entflohenen IS-Terroristen so etwas wie ausgemachte "Treffpunkte im Irak hatten, wo sie sich mit anderen Gruppen zusammenschließen konnten, die sich in der syrisch-irakischen Grenzregion bereits frei bewegen konnten". Das geht natürlich nur, wenn die US-Armee auf der syrischen Seite der Grenze ihren Blick auf den IS verschließt.

Kaum zurück im Irak scheint die islamistische Miliz schon wieder aktiv ins Terrorgeschäft eingestiegen zu sein, berichtet Magnier unter Berufung auf Angaben aus irakischen Geheimdienstquellen in Bagdad. Bei jüngsten IS-Angriffen auf irakische Sicherheitskräfte gab es Tote und Verwundete auf beiden Seiten.

Vor allem in der Provinz al-Anbar scheinen die IS-Kämpfer eine heimtückische Taktik anzuwenden, um die lokalen sunnitischen Stammesgemeinschaften gegen die mehrheitlich schiitischen Sicherheitskräfte der Regierung aufzubringen. Unter falscher Flagge werden Gräueltaten gegen Einheimische begangen, um sie den Regierungssoldaten in die Schuhe zu schieben. So berichtet Magnier von Kontrollposten an den Straßen, die von IS-Kämpfern in Uniformen der schiitischen Milizeinheiten der irakischen Armee errichtet werden. Bei den Kontrollen werden Angehörige der lokalen sunnitischen Stämme gezielt verhaftet, misshandelt oder gleich getötet.

Dieses Vorgehen hat erste "Erfolge" gezeigt, denn die politischen Führer der sunnitischen Stämme in al-Anbar haben die so genannten "Volksmobilisierungskräfte" (PMF – eine Koalition schiitischer Milizen, die heute integraler Teil des irakischen Militärs sind) aufgefordert, ihre Provinzen zu verlassen und stattdessen das US-Militär gebeten, im Irak zu bleiben. Zum Hintergrund sei gesagt, dass die PMF in den großen und siegreichen Schlachten der letzten Jahre gegen den IS im Irak stets die Hauptlast der Bodenkämpfe trugen, während die US-Air Force mal mehr, mal weniger Luftunterstützung leistete. Denn in Washington hatte man kein Interesse daran, dass die proiranischen PMF womöglich noch gestärkt aus diesen Kämpfen hervorgehen würden.

Aber jetzt ist der IS wieder da, und die Terroristen kennen die Wüste und die Mentalität der Menschen in diesen Provinzen sehr gut. Sie wissen inzwischen auch von der Beendigung der Zusammenarbeit zwischen den US-amerikanischen und den irakischen Streitkräften und ihnen ist auch bewusst, dass irakische Drohnen und andere Aufklärungsmittel allein nicht ausreichen, um die Provinz al-Anbar mit technischen, nachrichtendienstlichen Mitteln hinreichend abzudecken, um Informationen über Bewegungen und Absichten des IS zu sammeln.

Tatsächlich hätten laut Magnier die USA "in einem perfekten Timing ihre militärische- und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den irakischen Streitkräften eingestellt". Daher seien jetzt "die irakischen Streitkräfte von einer präventiven zu einer defensiven Haltung übergegangen. In vielen Provinzen sei nun der IS vom Gejagten wieder zum Jäger geworden.

Aufgrund der langsamen und ineffizienten Koordinierung zwischen den schiitischen Volksmobilisierungskräften (PMF) und dem Kommando der irakischen Luftwaffe fehlt den irakischen Bodentruppen bei den Kämpfen gegen die Terrormiliz die Luftunterstützung. Dadurch kann der IS auf dem Schlachtfeld länger Widerstand leisten und den PMF-Kämpfern höhere Verluste zufügen.

Derweil scheint in Bagdad das politische Chaos perfekt. Das Kalkül der US-Regierung scheint aufzugehen. Zwar fordert die schiitische Mehrheit den Rückzug der US-Streitkräfte, aber die starken Minderheiten der Sunniten und Kurden wollen, dass die US-Truppen im Land bleiben und die schiitischen "Volksmobilisierungskräfte" aus ihren Provinzen zurückgezogen werden. Schon einmal hatten die sunnitischen Stämme in al-Anbar sich lieber mit den sunnitischen IS-Extremisten zusammengetan und diese sogar gegen die vordrängenden schiitische Volksmobilisierungskräfte unterstützt.

Zugleich ist im Rahmen des Postenschachers im irakischen Parlament mit dem Geheimdienstchef Mustafa Al-Kadhimi ein Mann Washingtons zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden, allerdings nicht ohne Widerstand vor allem der stärksten schiitischen Fraktion, der Kata'ib Hezbollah, die dem Iran nahesteht und zugleich eine starke bewaffnete Formation als Teil der Volksmobilisierungskräfte kommandiert. Kata'ib Hezbollah hatte vor einem Monat eine scharfe Erklärung herausgegeben, in der Al-Kadhimi beschuldigt wird, Blut an seinen Händen zu haben und für den Tod ihres Anführers Abu Mahdi al-Muhandis und des iranischen Generals Qassem Soleimani mitverantwortlich zu sein. Zugleich wurde Al-Kadhimi als Ex-Geheimdienstchef vorgeworfen, mit den US-Amerikanern gegen die Schiiten zu kollaborieren.

Aber noch immer sind nicht alle US-Pläne für den Irak in "trockenen Tüchern". Zwar sprach das irakische Parlament am 7. Mai einer Mehrheit von insgesamt 22 Kandidatenvorschlägen als Kabinettsminister unter Al-Kadhimi das Vertrauen aus, aber die Vorgeschlagenen für die Ministerämter für Handel, Kultur, Landwirtschaft, Migration und Justiz wurden nach heftigem Streit dennoch abgelehnt und die Vertrauensabstimmungen für die Positionen des Ölministers und des Außenministers wurden verschoben.

Die Einigung auf ein neues Kabinett kann noch lange dauern, denn ähnlich wie man das vom Libanon kennt, sind auch im Irak die Ministerposten gemäß einem fein justierten politischen Proporzes aufzuteilen: 11 für die Schiiten, 6 für die Sunniten, 4 für die Kurden und 2 für Christen und andere Minderheiten. Al-Kadhimi wird von den Schiiten vorgeworfen, die Kurden und Sunniten zu bevorzugen, denn deren Kandidatenvorschläge habe er angenommen, während er die Vorschläge der Schiiten zurückwies und selbst andere Kandidaten vorschlug, was von vielen schiitischen Gruppen als Provokation empfunden wurde, weil die für sie inakzeptabel waren.

All das deutet darauf hin, dass trotz der tiefen Krise des Irak Al-Kadhimi das Spiel der USA spielt, die gar nicht an einer stabilen und starken Regierung in Bagdad interessiert sind. Denn Stabilität im Land könnte nur durch einen Kompromiss mit der schiitischen Mehrheit erreicht werden, die den Verbleib der USA in ihrem Land ablehnt.

Neben den wirtschaftlichen und militärischen Problemen des Irak kommt nun auch noch die Corona-Krise hinzu, die irgendwie bewältigt werden muss. Zugleich belasten die Spannungen zwischen den USA und dem Iran auch das Nachbarland. Beide, die USA und der Iran führen ihre eigenen Kriege auf irakischem Boden, mit denen jede Seite die jeweils andere aus dem Irak vertreiben will. Es bedarf eines Wunders, damit der Irak in absehbarer Zeit wieder auf die Beine kommt, zumal sich auch die Schiiten untereinander in ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen oft nicht einig sind, was gleichermaßen auch für die sunnitischen und kurdischen Minderheiten gilt.

Zum Schluss sei hier nochmals an das Kernthema dieser drei aufeinander folgenden Artikel erinnert, nämlich die Strategie der USA, sich islamistischer Terrorgruppen zu bedienen, sie als "nützliche Feinde", das heißt als Werkzeuge für ihre geopolitischen Ziele einzusetzen, nicht nur im Irak und Syrien. Solange al-Qaida und der IS ihren Zweck noch nicht endgültig erfüllt hatten, wurden sie – je nach aktueller Lage – nur halbherzig oder sogar nur zum Schein bekämpft, während zugleich in weltpolitischen Stellungnahmen der Regierung in Washington und deren Journaille die verbale Empörung über die mittelalterlichen Grausamkeiten dieser Terroristen stets auf Hochtouren lief und weiterläuft.

Bei all den medialen Ablenkungsmanövern für die der Öffentlichkeit sollten wir den Kern dieser im Grunde kriminellen Allianz nicht aus den Augen verlieren:

  • Mit Hilfe von al-Qaida hat die Regierung in Washington ihre Angriffskriege im Rahmen eines "Globalen Krieges gegen den Terror" nach außen gerechtfertigt, während sie nach innen die Bürgerrechte abbauen und die Vereinigten Staaten zu einem echten Polizei- und Überwachungsstaat umbauen konnte.
  • Mit Hilfe des IS konnten die USA ihre Rückkehr in den Irak bewerkstelligen, und jetzt dient der IS dazu, einen erneuten Rausschmiss der USA aus dem Irak zu verhindern.
  • Und nicht zuletzt: mit der Hilfe des IS hat man in Washington einen Vorwand konstruiert, eine völkerrechtwidrige militärische Intervention bis in die heutigen Tage zu rechtfertigen.
  • Dieser "Wahnsinn" hat Methode.

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