Vom Rosa-Luxemburg-Platz vertrieben – mit mehr als 1200 Demonstranten auf den Alex ausgewichen

Autorius: Andreas Peter Šaltinis: https://de.sputniknews.com/ges... 2020-05-11 01:01:00, skaitė 635, komentavo 0

Vom Rosa-Luxemburg-Platz vertrieben – mit mehr als 1200 Demonstranten auf den Alex ausgewichen

Auch an diesem Samstag haben in Berlin verschiedene Demonstrationen stattgefunden, die sich gegen die Corona-Verordnungen von Bund und Ländern richten. Dabei verlagerte sich der Standort der bisherigen Kundgebungen auf den Alexanderplatz – mit den zu erwartenden Folgen für die gereizte Stimmung zwischen Protestierenden und Polizeikräften.

Die Position des monumentalen Gebäudes der Berliner Volksbühne, um das sich die Bebauung des Rosa-Luxemburg-Platzes gruppiert, hat in der Tat etwas von einer riesigen Freilichttheaterkulisse, in deren Zentrum die berühmte ehemalige Piscator-Bühne steht. Vielleicht deshalb wehrten sich die Volksbühne, aber auch viele umliegende Bewohner mit Plakaten „Wir sind nicht Eure Kulisse“ gegen jene Demonstrationen, die seit dem letzten Samstag im März als „Hygiene-Demos“ bundesweite Bekanntheit erlangten.

An diesem Samstag war die Volksbühne die Kulisse für eine Demonstration, die ihr und den Anwohnern vielleicht mehr zusagt und die ungeliebten Hygienedemos vertrieben, aber das eigentliche „Problem“ damit wohl nur räumlich verschoben hat. Wie dieser Samstag in Berlin zeigte, war das die klassische Verdrängung von sozialen Konflikten.

Als Reptilien verkleidete Menschen wanderten über die Wiese vor der Volksbühne und forderten unter anderem „Echsen-Solidarität statt Verschwörungs-Nazis & Spinner“, andere warben sie für eine „Paleo-Antifa“. Damit wollten die Organisatoren, zu denen sich laut Berliner Polizei weitere elf weitere Anmelder von anderen Versammlungen rund um den Rosa-Luxemburg-Platz gesellten, dagegen protestieren, dass ihrer Meinung nach die sogenannten Hygiene-Demos von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten übernommen worden sein sollen. Diese Sichtweise und Strategie hatte sich schon am Samstag zuvor gezeigt, als die „Bergpartei, die Überpartei“, eine Versammlung mit dem Titel „Keine Diskriminierung von Reptilienmenschen“ anmeldete, um damit allerlei Verschwörungstheoretiker auf die Schippe zu nehmen.

Doch auch die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“, die den Reigen der Hygiene-Demos am letzten März-Samstag begründete, wehrt sich gegen eine Vereinnahmung durch rechtsextreme Gruppen und Verschwörungstheoretiker. Die Kommunikationsstelle beharrt darauf, dass ihr Anliegen die Verteidigung der vom Grundgesetz garantieren bürgerlichen Rechte, vor allem die Versammlungsfreiheit sei, die sie durch die Corona-Verordnungen bedroht sieht. Die schnell angewachsene Teilnehmerzahl der samstäglichen Demonstrationen am Rosa-Luxemburg-Platz beunruhigte viele. Vielleicht war die Betonung in der Berichterstattung über die ersten Demonstrationen auf Personen, die dem rechtsextremen und/oder verschwörungstheoretischen Spektrum zugeordnet werden, kein Zufall, sondern Absicht, um die Teilnehmerzahlen klein zu halten, denn welcher normale Durchschnittsbürger will schon etwas mit Rechtsextremen oder Verschwörungstheoretikern zu tun haben? Belegen lässt sich diese Vermutung nicht.

Möglicherweise haben sich die Gegner der sogenannten Hygiene-Demos aber verrechnet und mit ihrem mehr oder weniger kreativen Protest die Demonstrationen nur an einen anderen zentralen Ort in der deutschen Hauptstadt verdrängt. Denn während auf dem Rosa-Luxemburg-Platz an diesem Samstag gähnende Langeweile herrschte, versammelten sich am Alexanderplatz mehrere hundert Personen. Nach Angaben der immer vorsichtig schätzenden Polizei sollen es sogar mindestens 1200 Menschen gewesen sein, die wiederum einem Großaufgebot von schwer ausgerüsteten Polizeikräften gegenüberstanden. Einige Demonstranten trugen selbstgebastelte Transparente, auf denen sie unter anderem, aber vor allem die sofortige Beendigung der Einschränkungen von Grundrechten infolge der Corona-Pandemie forderten.

Die Situation kann als auf beiden Seiten emotional aufgeladen und leicht reizbar umschrieben werden. Sputnik Deutsch beobachtete das Geschehen auf dem Alexanderplatz mehr als eine Stunde. Immer wieder wurden die Polizisten mit Sprechchören wie „Schämt Euch!“, „Wir sind das Volk!“ oder „Schließt Euch an!“ verbal attackiert. Immer wieder kam es zu aufgebrachten Diskussionen zwischen Demonstranten und Polizisten. Im Verlauf der Konfrontationen flogen auch ein paar halbleere Wasserflaschen in Richtung Polizei.

Aber insgesamt verhielten sich die Teilnehmer der unangemeldeten Demonstration bemerkenswert zurückhaltend, trotz aufgeheizter Atmosphäre, jugendlichem Eifer des einen oder anderen Teilnehmers, vielleicht auch eines gewissen Alkoholpegels bei dem einen oder anderen, und obwohl bei einigen Teilnehmern vom Erscheinungsbild her auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden konnte, dass diese Personen der gewaltbereiten Hooligan-Szene nahestehen. Sie fielen angesichts der Menge der Demonstrationsteilnehmer nicht wirklich ins Gewicht.
Die von einem Reporter der Sendeanstalt RBB als „aggressiv auf Seiten der Demonstranten“ beschriebene und von Nachrichtenagenturen und anderen Medien weiterverbreitete Grundstimmung haben die Reporter von Sputnik Deutsch so nicht wahrgenommen, sondern eine Stimmung allgemeiner Empörung, die mutmaßlich von einem immer wieder zu vernehmenden Empfinden vieler Demonstrationsteilnehmer gespeist wurde, dass sowohl die zahlenmäßige und Ausrüstungs-Dimensionierung als auch das Auftreten der Polizeikräfte als übertrieben, unangemessen und als bewusst bedrohlich und provozierend beschrieben wurde. Das lag nach Beobachtung des vor Ort befindlichen Sputnik-Teams vor allem an zwei Umständen.

Zum einen durchkämmten Polizisten in Zivil die Menschenmenge und gaben über Funk Informationen über bestimmte Personen an die Einsatzleitung weiter, die von den Beobachtungen eines Polizeihubschraubers und eines Kamerawagens der Polizei ergänzt wurden. Die Polizei rückte dann in die Menschenmenge vor, isolierte diese Personen und brachte sie durch die Menschenmenge zu einem der vielen Mannschaftswagen, die rund um den Alexanderplatz postiert standen, um dort die Personalien aufzunehmen. Diese gezielten Festnahmen wurden von den Polizeikräften mit einem körperlichen Einsatz vorgenommen, der von vielen Demonstrationsteilnehmern als bewusst rücksichtslos und provozierend empfunden und entsprechend mit Rangeleien mit der Polizei „beantwortet“ wurde.

Zum anderen empfanden viele Demonstrationsteilnehmer das Auftreten der Polizei vor allem auch im Hinblick auf die grundsätzliche Strategie des Einsatzes als unangemessen aggressiv. Die Einsatzleitung der Polizei argumentierte, sie setze geltendes Recht durch. Und das wird derzeit durch die Corona-Verordnungen von Bund und Ländern definiert. Für Berlin bedeutet das, abgesehen von der bereits erwähnten fehlenden Anmeldung der Demonstration auf dem Alexanderplatz, vor allem die Begrenzung der Teilnehmerzahlen auf 50 Personen, Mindestabstände von eineinhalb Metern und die Bedeckung von Nase und Mund.

Wie allerdings diese Grundbedingungen bei einer Menschenmenge ohne Gewaltanwendung durchgesetzt werden sollte, die ja von der Polizei selbst mit mindestens 1200 angegeben wurde, erscheint einem als mit Polizeitaktik nicht vertrauten Beobachter fraglich. Der frühere Polizeidirektor der Berliner Polizeidirektion 6 und heutige Ausbilder für „polizeiliche Einsatzlehre“ an der brandenburgischen Polizeiakademie in Oranienburg, Michael Knape, hatte dem RBB schon am 20. April sein Befremden über das Vorgehen der Polizei bei den damals noch auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und dessen Umfeld stattfinden Demonstrationen bekundet: 

„'Missfallen hat mir die rigorose Vorgehensweise der Polizei und die äußerst niedrige Einschreitschwelle gegen die Versammlungsteilnehmer bereitet, die teilweise auch mit Mundschutz ausgestattet waren und versuchten, den Abstand einzuhalten', sagt Michael Knape. Dem erfahrenen Einsatzleiter ging das Vorgehen der Berliner Polizei am Samstag viel zu schnell“, zitierte der RBB seinerzeit den erfahrenen pensionierten Polizisten.

Nach und nach löste sich an diesem Samstag die Menschenansammlung auf dem Berliner Alexanderplatz auf. Ob die Strategie der Ausgrenzung und Stigmatisierung dieser Proteste durch pauschale Gleichsetzung mit Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten beziehungsweise durch Verdrängung vom symbolträchtigen Rosa-Luxemburg-Platz, (nicht zuletzt ja auch, weil es direkt vor dem Karl-Liebknecht-Haus, der Zentrale der Linkspartei, geschah) wirklich aufgegangen ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Denn sollte sich am nächsten Samstag eine ähnliche Menschenansammlung wiederholen, dann könnten die Bilder schnell sehr viel symbolträchtiger werden, als vielen lieb sein kann.

Die Sputnik-Reporter vor Ort vernahmen während ihrer Recherche und ihren Beobachtungen auf dem Alexanderplatz an diesem Samstag immer wieder Gleichsetzungen mit Demonstrationen auf dem Alexanderplatz im Herbst 1989 in der in Agonie liegenden DDR, die sich vor allem auf die Tatsache bezogen, dass an diesem Samstag zwei Demonstranten den Springbrunnen auf dem Alexanderplatz erklommen hatten. Auch 1989 besetzen Demonstranten den offiziell als Brunnen der Völkerfreundschaft bekannten, aber im Berliner Volksmund nur als „Nuttenbrosche“ bezeichneten großen Springbrunnen direkt vor dem früheren Centrum Warenhaus und dem damaligen Hotelhochhaus Stadt Berlin und zwangen so Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, sich nasse Füße holen zu müssen, um die „negativ feindlichen Elemente“ wieder aus dem Brunnen zu holen, sehr zur Schadenfreude vieler Ostberliner. Eine Demütigung für das bis dahin allmächtige MfS.