Schauspieler Lars Eidinger möchte nicht im modernen Tugendterror leben

Autorius: Karel Meissner Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2020-09-19 17:11:00, skaitė 978, komentavo 0

Schauspieler Lars Eidinger möchte nicht im modernen Tugendterror leben

In jeder Generation gibt es eine Mehrheit an Stinos (Stinknormale), ohne hervorstechende oder abweichende Eigenschaften. Sie repräsentieren in jeder Hinsicht den (gewünschten) Durchschnitt. Der kleine Rest, das sind die Außenseiter, Nonkonformisten, Exzentriker, Freaks. Das spiegelt sich auch in Film-, Theater- und TV-Produktionen: Neben glatten Normalos leistet man sich ein paar schräge Typen.

Früher übernahmen Darsteller wie Peter Lorre oder Klaus Kinski solche Rollen, heute ist der Schaubühnen-Darsteller Lars Eidinger auf sie abonniert. Ob als Hamlet, Georg Trakl oder als leicht durchgeknallter Unternehmersohn Alfred Nyssen in „Babylon Berlin“ – seine Charaktere stehen außerhalb der blökenden Schafsherde. Das trifft offenbar auch auf den Privatmenschen Eidinger zu.

Denn im Gegensatz zur Mainstream-Herde, die aktuell der Cancel-Kultur, der Pranger- und Guillotinierungslust ihrer linksgrünen Robespierres applaudiert, fühlt sich der 44-Jährige im derzeitigen Diskursklima unwohl. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung äußerte er: „Überall ploppen im Moment wahnsinnig komplexe Debatten auf, aber nur in den seltensten Fällen gibt es den Raum, sich dazu in aller Komplexität zu äußern.“ Vor allem stößt er sich am zwanghaften Dualismus: „Und dann sind die Debatten so moralisch. Das wundert mich am meisten, wie viele bereit sind, sich moralisch über andere zu erheben. Schon weil das voraussetzt, dass es überhaupt Gut und Böse gibt. Nicht mal daran glaube ich.“

Als Film- und Bühnenkünstler weiß er: „Die Kunst muss frei sein. Wenn man sich moralisch einschränken lässt, wenn einem immerzu Böses unterstellt wird, dann werden wir über kurz oder lang verstummen.“ Ein Beispiel aus seinem Metier: „Für Richard III. wurde mir schon Crippling up vorgeworfen. Das ist so ähnlich wie Blackfacing. Ich spiele einen Behinderten, feiere damit Erfolge – und das darf ich nicht. Weil: Ich bin ja gar nicht behindert.“

Da stellt sich ihm die Frage: „Wo ist da die Grenze? Wenn ich jemanden spiele, der traurig ist, und es selbst gar nicht bin, erhebe ich mich dann nicht über alle, die wirklich traurig sind? Der Raum wird wahnsinnig eng. Und das empfinde ich als Bedrohung.“ Die Angst vor Shitstorm sei „fatal“. Eidinger nimmt als eine Anekdote mit der moralinsauren Hollywoodschauspielerin Meryl Streep:

„Als ich mit Meryl Streep in der Berlinale-Jury war, hat sie gesagt: Du kannst Deine Glaubwürdigkeit mit einem Satz zerstören“. Der Schauspieler mag das nicht akzeptieren „Das ist bitter. Meryl Streep wirkt so unangreifbar; ihr wird so viel Liebe entgegengebracht. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, die mich für einen einzigen Satz verurteilt. Ich wünsche mir eine Kultur des Scheiterns. Aber wer Fehler macht, wird bestraft.“

Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Überdruss auch auf Eidingers Normalo-Kollegen überspringt.