Autorius: RT Šaltinis: https://deutsch.rt.com/meinung... 2020-09-29 21:36:00, skaitė 737, komentavo 0
Es geht weiter: Demonstration in Berlin im September 2020
von Andreas Richter
Vor wenigen Wochen beging der mediale Mainstream mit einigem Aufwand den fünften Jahrestag von Angela Merkels "Wir schaffen das!". Die Kanzlerin hatte den Satz in der Flüchtlingskrise 2015 geäußert, als sie eine große Zahl von Migranten über die Balkanroute nach Deutschland einreisen ließ.
Die Rückschau in den Medien verlief fast immer nach dem gleichen Muster. Vordergründig ambivalent, kamen sie letztlich regelmäßig zu dem Schluss, dass Merkels "menschliche" Entscheidung richtig gewesen sei, obwohl es natürlich noch viel zu tun gebe.
Betrachtet man dagegen Merkels aus nur drei Wörtern bestehende Aussage noch einmal genauer, wird klar, dieser kurze und scheinbar simple Satz bestand aus Unwahrheiten und Ungenauigkeiten.
Mit dem Wort "Wir" geht es schon los: Wer ist "Wir"? Gemeint ist wohl Deutschland, so der naheliegende Schluss, der selten hinterfragt wurde. Doch betrachtet man die Konsequenzen der Migration seit 2015, sieht man zwar Verlierer und auch Gewinner, aber kein "Wir", die irgendetwas schaffen konnten.
Der Volkswirt Fritz Söllner hat in seinem 2019 erschienenen Buch "System statt Chaos" sehr deutlich ausgeführt, wer in diesem Prozess gewinnt und wer verlieren wird. Klarer Gewinner ist für Söllner die Kapitalseite, deren Position auf dem Arbeitsmarkt aber etwa auch auf dem Wohnungsmarkt gestärkt worden sei. Auch die Gutverdiener sieht der Professor der TU Ilmenau auf der Gewinnerseite.
Hauptverlierer sind für Söllner die Geringverdiener, die von den Entwicklungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt geradezu in die Zange genommen werden. Der Autor konstatiert eine eindeutige Verschärfung der sozialen Spaltung. Tatsächlich leidet der untere Teil der Gesellschaft auch erheblich unter den sich verschärfenden Problemen in den Bereichen Bildung, Verkehr und Sicherheit.
Auch die Volkswirtschaft insgesamt profitiere nicht von dieser Art der Zuwanderung von überwiegend Gering- oder Unqualifizierten. Die öffentlichen Kassen seien enormen Belastungen ausgesetzt, denen man auf absehbare Zeit wohl nur mit Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen begegnen könne.
Mit dem Gebrauch der Wendung "Wir schaffen das!" hat die Kanzlerin nicht nur diese – absehbaren – ökonomischen und sozialen Spaltungstendenzen versteckt, sondern ihre Politik auch gleich gegen Kritik immun gemacht.
Kritiker ihrer ausschließlich mit moralischen Argumenten begründeten Politik mussten damit rechnen, als Extremisten und Menschenfeinde abgestempelt zu werden und nicht mehr zum "Wir" gezählt zu werden, ganz so wie heute Kritiker der Corona-Maßnahmen und Maskenverweigerer. Die meist bessergestellten Unterstützer durften und dürfen sich dagegen zu den Guten zählen und sich auch an ihrem moralischen Bessersein erfreuen.
Auch das "Das" im Mantra "Wir schaffen das" verdient eine nähere Betrachtung. Was da eigentlich "geschafft" werden sollte, wurde nie wirklich erklärt. Tatsächlich wurden seit Anbeginn die Begriffe Migrant und Flüchtling vermengt. "Das" meinte nicht humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, sondern die dauerhafte Aufnahme einer großen Anzahl von Migranten, was kurzerhand zu einem Akt der Menschenfreundlichkeit deklariert wurde.
Natürlich ist diese moralische Argumentation von Politik und Medien hochgradig irreführend. Wirklich menschlich wäre es, wenn jeder Mensch in seiner Heimat ohne Not und ohne Angst leben könnte. Nur argumentiert so niemand von den Herrschenden, weil das hieße, die gegenwärtige Weltordnung zu hinterfragen, in der es für die Peripherie der Wohlstandsregionen keine andere Perspektive gibt, als Lieferant von Arbeitskräften und Rohstoffen und ansonsten Schauplatz "humanitärer Interventionen" zu sein.
Merkels "Wir schaffen das" stand seinerzeit für die moralische Legitimierung einer Politik, die weder in ihrer Motivation noch in ihren Folgen moralisch war. Das zugrundeliegende Argumentationsmuster wiederholt sich mittlerweile ständig, bei der Energiepolitik, beim Klimaschutz, bei militärischen Interventionen, und nun auch in der Corona-Krise: Etwas ist angeblich gut, ist human, deshalb wird es gemacht.
Eventuell dahinterstehende Interessen kommen in dieser Art von Erklärungsmustern nicht mehr vor, Tatsachen werden nur selektiv wahrgenommen. Das Praktische für die Mächtigen: Es braucht keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kritikern, schließlich lassen diese sich als Menschenfeinde oder Extremisten darstellen, die damit kein Teil des behaupteten "Wir" darstellen.
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