Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/gesells... 2016-10-26 14:46:45, skaitė 957, komentavo 0
Politikwissenschaftler Andreas Umland unterstützte ursprünglich den "Euromaidan". Russische Hinweise auf ultranationalistische Tendenzen in der Ukraine wies er damals schroff zurück. Langsam scheinen sie ihm jedoch selbst unheimlich zu werden.
Wenn jemand wie Andreas Umland beginnt, öffentlich das Gebaren der Post-Maidan-Eliten in der Ukraine zu beanstanden, kann das für Kiew kein gutes Zeichen sein. Der Politikwissenschaftler, unter anderem NATO Fellow a.D. an der Hoover Institution und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Europa-Ausschusses des ukrainischen Parlaments, war von Beginn an glühender Apologet des Euromaidan.
Kaum ein Vorwurf oder historischer Vergleich an die Adresse des russischen Präsidenten Wladimir Putin konnte ihm schrill genug sein, als es darum ging, dessen Warnung vor radikalem Nationalismus im Umfeld der Unruhen zu relativieren. So meinte er unter anderem, es würden sich in der Russischen Föderation "schon eher einzelne Ideen und Praktiken finden, die an die Politik des Dritten Reiches erinnern".
Der Wissenschaftler pflegte das für den deutschen Diskurs jener Tage charakteristische "Selber Nazi!". Möglicherweise nährte sich dies aus einer gleichsam narzisstischen Kränkung: So sieht er die Ära Putin als eine "vertane Chance", da diese die "positiven Elemente von Demokratie und Pluralismus aus der Jelzin-Ära weitgehend beseitigt" habe.
Dass gerade diese Ära in der russischen Bevölkerung mehrheitlich als geradezu traumatisch wahrgenommen wird, ficht ihn dabei nicht an. Umlands Kollege Rudolf Maresch warf ihm in diesem Zusammenhang deshalb auch vor, eine "politische Theologie der Menschenrechte" zu betreiben.
Mittlerweile scheint Andreas Umland jedoch eine weitere tiefe Enttäuschung erlebt zu haben. Im Fachmagazin Foreign Policy gibt er dieser nun Ausdruck und nimmt heftig Anstoß an der Geschichtspolitik, welche in der Post-Maidan-Ukraine Platz ergriffen hat.
Er warnt vor einer "Glorifizierung ukrainischer Nationalisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs" und stellt fest, dass diese Geschichtspolitik westliche Verbündete dazu bewegen könnte, sich von Kiew abzuwenden. Natürlich darf bei Umland der Hinweis nicht fehlen, das "aggressive und chauvinistische Russland Wladimir Putins" würde "die kontroversesten Elemente der ukrainischen Geschichte zynisch als Teil seines Krieges gegen Kiew ausbeuten".
Auch behauptet er steif und fest, dass "Putins gewalttätiger Angriff auf den ukrainischen Staat seit 2014" einer der wichtigsten Gründe für die "Hinwendung des Landes zu seinen nationalistischen Kriegshelden" gewesen sei. Ganz so, als hätte es eine solche vor dem erzwungenen Regierungswechsel durch den Maidan nicht gegeben.
Darüber hinaus liest sich das, was der Politikwissenschaftler in FP nun wortreich beklagt, jedoch fast 1:1 wie jene Darstellungen, die der westliche Mainstream noch vor kurzem als "russische Propaganda" von "Putinverstehern" und "aus Moskau ferngesteuerten Trollen" stigmatisiert hat.
Vor allem die historische Interpretation der Rolle von ukrainischen nationalistischen Führern während des Zweiten Weltkriegs, die der "Bandera-Fraktion" der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) angehörten, bereitet Andreas Umland zunehmend Kopfzerbrechen:
Das Dilemma besteht darin, dass, während viele der Führungspersönlichkeiten von OUN-B und gewöhnliche Mitglieder ihre Leben für den ukrainischen Unabhängigkeitskampf gegeben haben, die meisten gleichzeitig auch heftige Nationalisten bis hin zum offenkundigen Fremdenhass waren. Einige waren sogar Komplizen im Holocaust und im Zusammenhang mit anderen Massenverbrechen gegen Zivilisten.
Die Folge davon ist, dass die Gruppe, die ein hohes Maß an Sympathie in der Regierungsetage der Ukraine und vonseiten eines Großteils ihrer intellektuellen Elite genießt, als höchst kontrovers angesehen wird unter der russischsprachigen Bevölkerung des Landes, unter seinen Juden, seiner liberalen Intelligenz und seinen ausländischen Partnern.
Als Sündenfall macht der Politikwissenschaftler die Gründung des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung (UINP) aus. Diese wurde im Jahr 2014 als offizielle Regierungsstelle für Geschichtspolitik gegründet und mit einer verhältnismäßig jungen Gruppe aus Aktivisten besetzt. Diese weise "unbekannte Referenzen" bezüglich ihrer Lehrtätigkeit auf.
Zwischen den Zeilen mag aus dieser Bemerkung anklingen, dass Umland sich selbst hinsichtlich dieser Aufgabe jedenfalls für qualifizierter erachtet hätte. Was jedoch weit relevanter ist: Unter ihrem erst 39-jährigen Leiter Wolodymyr Wiatrowycz hat die Einrichtung seit dieser Zeit konsequent daran gearbeitet, Handlungen und Ideologie der OUN-B weißzuwaschen.
Man habe alles Erdenkliche unternommen, um umstrittene historische Persönlichkeiten wie Stepan Bandera, Roman Schuchewytsch oder Jaroslaw Stezko als Nationalhelden von unanfechtbarer Größe zu porträtieren. Der Nationalismus der Weltkriegsära habe "offizielle Anerkennung als höchste Ausformung des ukrainischen Patriotismus" erlangt.
Überhaupt, so deutet Andreas Umland in seinem Beitrag an, scheint man in der Ukraine die vorbehaltlose Unterstützung für den Euromaidan durch den Westen sowie dessen offensive Konfrontationspolitik gegen Russland in den falschen Hals bekommen zu haben. "Anders als manche Ukrainer denken" sei die "Vereinigung Europas" kein primär gegen Moskau gerichtetes Projekt gewesen.
Stattdessen, so der Politikwissenschaftler, war sie...
"...eine Antwort auf die Herausforderung durch den radikalen Nationalismus, der zwei Weltkriege in lediglich einem halben Jahrhundert hervorgebracht hat. Das ist der Grund, warum der Schulterschluss der UINP mit der ultranationalistischen OUN-B so problematisch ist: Er verklärt exakt jene Aspekte der europäischen Geschichte, die zu überwinden sich der Kontinent seit 1945 so vehement bemüht."
Ein weiterer Gesichtspunkt, den der Forscher in weiterer Folge ins Spiel bringt, ist der Antisemitismus, für den die OUN-B steht. Als kürzlich der israelische Präsident Reuven Rivlin im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des Jahrestages zum Massaker von Babi Jar auf die Beteiligung von Ukrainern am Holocaust hinwies, gingen die Wogen im Land hoch.
Der heutige Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, Bohdan Chevak, warf Rivlin auf Facebook vor, "auf die Seelen der Ukrainer gespuckt" und "Verachtung gegenüber der ukrainischen Nation" gezeigt zu haben. Chevak präsentierte eine Liste von OUN-Mitgliedern, die zwischen 1941 und 1943 "für die Ukraine gestorben" seien und im Babi Jar begraben worden wären. Er erklärte weiter:
Für uns sind sie Helden. Ihnen gebührt der Dank dafür, dass wir in unserem eigenen Land leben. Niemand soll ihr Angedenken verächtlich machen.
Die ukrainischen Juden rief Chevak dazu auf, Rivlin "dazu zu überreden, keine russischen Medien zu lesen oder zu schauen." Wolodymyr Wiatrowycz sprang Chevak bei und beschuldigte Rivlin, "sowjetische Mythen" wiederzugeben.
Andreas Umland hingegen spricht davon, dass der Antisemitismus in der Geschichte der OUN-B zwar nicht "die zentrale Rolle wie in Nazideutschland selbst" eingenommen habe. Immerhin habe er aber ausgereicht, um eine Reihe von Mitgliedern aktiv am Holocaust teilnehmen zu lassen. Diese hätten sich entweder als Kollaborateure der Deutschen oder als Juden-Jäger aus eigenem Antrieb hervorgetan.
In den Publikationen der UINP sei jedoch von diesen Ereignissen, die "sowohl durch westliche als auch durch ukrainische Historiker extensiv dokumentiert" seien, kaum die Rede. Stattdessen stünden vor allem Fälle im Fokus des Interesses, in denen Ukrainer und sogar Nationalisten unter ihnen geholfen hätten, Juden zu retten.
Angesichts der Tatsache, dass die Forschungsergebnisse zu dem Themenkomplex auch in die westlichen Geschichtsbücher in immer stärkerem Maße Eingang fänden, wird, so Umland,
"die Verniedlichung der Verbrechen der OUN-B durch die Ukraine immer weniger akzeptabel".
Vor allem aber in Deutschland und in Polen, bei den "wichtigsten westlichen Partnern der Ukraine abseits der USA und Kanada", würde der aktuelle ukrainische Narrativ zum Zweiten Weltkrieg "auf Grund seiner Inakzeptabilität bei EU- und NATO-Mitgliedern" zu einem sehr drängenden politischen Problem werden.
Insbesondere Polen würde sich "mit nichts weniger zufriedengeben als einer vollständigen Anerkennung und angemessenen Erinnerungspolitik bezüglich des Massakers an zehntausenden polnischen Zivilisten durch die Ukrainische Aufständische Armee", die unter dem Kommando der OUN-B stand.
Auch Berlin, das "eine entscheidende Rolle bei der Verhängung und Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland gespielt" hat und zu den wichtigsten Geberländern der Ukraine gehört, würde die Verherrlichung eines Offiziers der Deutschen Wehrmacht und eines der berüchtigten Hilfspolizeibataillone wie Roman Schuchewytsch nicht hinnehmen, so Umland.
Mit dieser Einschätzung scheint er allerdings nicht gänzlich 'up to date' zu sein: Schuchewytsch wurde bereits im Jahr 2007 vom damals amtierenden Präsidenten Wiktor Juschtschenko posthum der Orden "Held der Ukraine" verliehen.
Die Ukraine, so empfiehlt Andreas Umland heute, soll "einen akademischeren und weniger eskapistischen Zugang zu ihrer Kriegsgeschichte erlangen", wie dies auch die meisten westlichen Länder gemacht hätten. Widrigenfalls drohe ansonsten Ungemach, das dem "russischen Aggressor" zupasskomme. Denn, so argwöhnt der Wissenschaftler:
"Je mehr die offizielle Geschichtsschreibung der Ukraine von dem abweicht, was gemeinhin im Westen akzeptiert ist, umso leichter wird es Putin fallen, Überläufer zu gewinnen und Zweifel unter den Freunden Kiews zu säen."