Autorius: Hubertus Knabe Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2021-11-28 21:01:00, skaitė 687, komentavo 0
Über ihn wusste die DDR-Staatssicherheit nur Gutes zu berichten: IM Torsten Koplin (Die Linke)
von Hubertus Knabe
Über Torsten Koplin wusste die Stasi nur Gutes zu berichten: „Die inoffizielle Zusammenarbeit verlief effektiv und der IM berichtete in guter Qualität,“ schrieb sein Führungsoffizier am 13. Oktober 1988 in die Akte seines Informanten. Bei der Erarbeitung von Informationen, die vorrangig in handschriftlicher Form erfolgten, habe es keine Anzeichen auf Zurückhaltung gegeben. „Auch was Personen betraf, berichtete er offen und ehrlich.“
Seit Mitte Oktober verhandelt Torsten Koplin mit der SPD über die Bildung einer neuen Regierung für Mecklenburg-Vorpommern. Der frühere Stasi-Informant, der nach seinem Dienst im Stasi-Wachregiment hauptamtlicher FDJ-Sekretär in Neubrandenburg wurde und 1988 ein Studium an der SED-Parteihochschule aufnahm, ist heute Landesvorsitzender der Linkspartei. Weil die SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig mit seiner Partei eine Regierung bilden will, schreibt er jetzt mit am Koalitionsvertrag.
So wie Koplin haben auch Tausende andere Funktionäre das Ende des Kommunismus in Europa unbeschadet überstanden. In vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks konnten sie sich nicht nur erhebliche Teile der Staatswirtschaft aneignen, sondern besetzten auch bald wieder höchste politische Ämter. Manche erklommen sogar Positionen, von denen sie früher nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Der ehemalige Stasi-Hauptmann Matthias Warnig zum Beispiel, heute Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, brachte es bis zum Aufsichtsratsmitglied beim FC Schalke 04.
Während westliche Beobachter fasziniert davon waren, dass einst geschmähte Oppositionelle wie Václav Havel oder Lech Wałęsa über Nacht zu Staatspräsidenten aufstiegen, sah die Wirklichkeit in den meisten postkommunistischen Ländern deutlich anders aus. In Rumänien etwa avancierte mit Ion Illiescu ein ehemaliger ZK-Sekretär zum ersten frei gewählten Präsidenten. In Litauen wurde 1993 ebenfalls ein früherer ZK-Sekretär zum Staatschef gewählt. In Ungarn übernahm ein Jahr später der ehemalige kommunistische Außenminister Gyula Horn das Amt des Regierungschefs, in Polen wurde 1995 Ex-Jugendminister Aleksander Kwaśniewski Staatspräsident. In Bulgarien und Ungarn standen seit 2002 zwei ehemalige Geheimdienstmitarbeiter an der Spitze ihres Landes.
Auch in Deutschland drängten die kommunistischen Kader rasch wieder an die Macht. Als Steigbügelhalter erwies sich dabei die ostdeutsche SPD. Mit ihrer Hilfe wurde in Mecklenburg-Vorpommern 1998 erstmals ein früherer hauptamtlicher SED-Funktionär stellvertretender Ministerpräsident; inzwischen dient Helmut Holter in Thüringen Bodo Ramelow als Bildungsminister. Mit Gregor Gysi wurde 2002 auch in Berlin ein hochrangiger Nomenklaturkader mit engen Verbindungen zum DDR-Staatssicherheitsdienst Vizeregierungschef. 2009 übernahm dann in Brandenburg mit Ralf Christoffers ein ehemaliger Dozent für Marxismus-Leninismus der FDJ-Jugendhochschule in Bogensee den Posten des Wirtschaftsministers. Fünf Jahre später zog in Thüringen mit Birgit Keller eine ehemalige Mitarbeiterin der SED-Kreisleitung ins Kabinett ein. 2016 schließlich wurde in Berlin mit Andrej Holm erstmals ein ehemaliger hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter zum Staatssekretär berufen.
Diese Aufzählung ließe sich noch beliebig verlängern. Obwohl die Diktaturen im ehemaligen Ostblock vor mehr als 30 Jahren gestürzt wurden, mischen immer noch ehemalige kommunistische Funktionäre vielerorts politisch mit. Die Rückkehr der alten Kader an die Macht hat vor allem einen Grund: Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime ist eine mit der Entnazifizierung Deutschlands vergleichbare Entkommunisierung unterblieben.
Hätten nach 1989 dieselben Vorschriften gegolten wie nach 1945, wäre wohl keiner der Genannten je in ein politisches Amt gekommen. Den einstmals führenden Partei- und Staatsvertretern, Geheimdienstmitarbeitern und Grenztruppenangehörigen hätte vielmehr Gefängnis, Vermögenseinzug, Rentenstreichung und Heranziehung zu Arbeitseinsätzen gedroht. Sie hätten zudem – wie in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 festgelegt – das aktive und passive Wahlrecht verloren, keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden und keiner politischen Partei mehr angehören dürfen. Auch für weniger exponierte Aktivisten wie Staatsanwälte, Richter, Informanten oder Jugendfunktionäre galten ähnliche Sühnemaßnahmen.
Nach dem Ende des Sozialismus gab es dagegen nur in Tschechien ernsthafte Bemühungen um eine Entkommunisierung. Ein 1991 verabschiedetes Gesetz zur „Lustration“ – zu Deutsch: Durchleuchtung – schloss höhere Parteifunktionäre ab der Ebene des Bezirkssekretärs, ehemalige Stasi-Mitarbeiter und frühere Mitglieder der Volksmilizen von Führungspositionen in Armee, Polizei, Regierung, Medien und Staatsbetrieben aus. Allein bis 2002 stellte das Innenministerium 365.000 Lustrationszertifikate aus und verwehrte fast 11.000 Personen den Zugang zu den im Gesetz genannten Ämtern. Auf der Website des Instituts für das Studium totalitärer Regime kann man bis heute überprüfen, ob eine bestimmte Person für die tschechische Stasi tätig war.
In Deutschland, wo der Elitenaustausch durch die Wiedervereinigung deutlich einfacher gewesen wäre, gab es hingegen nur die Möglichkeit, in ausgewählten Bereichen Überprüfungen auf eine frühere Stasi-Tätigkeit durchzuführen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz vom Dezember 1991 erwies sich jedoch als stumpfes Schwert, weil es die Durchleuchtung nicht obligatorisch machte, keine Konsequenzen vorschrieb und politische Funktionen unberücksichtigt ließ. Erschwerend kam hinzu, dass DDR-Bürgern laut Einigungsvertrag ab 1994 nur noch dann gekündigt werden durfte, wenn das Arbeitsverhältnis „unzumutbar“ war. Aus diesem Grund erreichte Deutschland zwar die Rekordzahl von knapp 2,3 Millionen Stasi-Checks, doch mehr als die Hälfte der über 28.000 Enttarnten wurde weiterbeschäftigt. Bis heute gibt es keine öffentlich einsehbare Liste aller ehemaligen Stasi-Mitarbeiter.
Während der Bundestag es ablehnte, seine Mitglieder auf eine Stasi-Tätigkeit zu überprüfen, versuchte man im Baltikum Anfang der 1990er Jahre, zumindest die Parlamente von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern frei zu halten. Litauen beschloss deshalb 1991, alle Parlamentarier zu überprüfen und ehemalige KGB-Agenten zu entfernen. Zwei Jahre später zog Lettland nach und verlangte schon vor den Wahlen von allen Kandidaten eine Erklärung, dass sie nicht für den KGB gearbeitet hätten. Estland ging 1995 noch einen Schritt weiter und forderte eine solche Versicherung von sämtlichen Bewerbern für ein öffentliches Amt. In allen drei Ländern kam es freilich nie zu einer Aberkennung des Mandates – denn die beweiskräftigen Akten der Informanten lagerten inzwischen unerreichbar in Moskau.
Aus diesem Grund verabschiedeten Estland und Litauen noch ein weiteres Gesetz, das alle ehemaligen KGB-Agenten dazu verpflichtete, sich bei den Behörden zu offenbaren. In Estland, wo ihnen bei Zuwiderhandlung die Veröffentlichung ihres Namens drohte, meldeten sich über 1100 Personen, während mehr als 600 unfreiwillig publik gemacht wurden. In Litauen, wo das Gesetz auch mit Kündigung drohte, verschwiegen lediglich 29 Personen ihre Vergangenheit. Die in den verbliebenen Unterlagen verzeichneten Klar- und Decknamen der Agenten wurden später auch im Internet veröffentlicht.
In Ungarn beschloss das Parlament 1994, bei allen Abgeordneten und leitenden Beamten zu prüfen, ob sie früher Mitarbeiter, Zuträger oder Empfänger von Berichten der inneren Geheimpolizei gewesen waren. Allerdings drohten ihnen außer der Veröffentlichung ihres Namens keine Konsequenzen. Weder Ministerpräsident Horn noch sein Nach-Nachfolger Péter Medgyessy dachten deshalb daran zurückzutreten, obwohl die Kriterien des Gesetzes auf beide zutrafen. 2005 wurden die Überprüfungen schließlich eingestellt, so dass später selbst unter Viktor Orbán ein früherer hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter Staatssekretär wurde.
In Polen hatte das Parlament zwar bereits 1992 beschlossen, die Namen ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter in hohen politischen Ämtern bekanntzugeben. Doch das Verfassungsgericht stoppte die Umsetzung des Beschlusses. Erst 1997 kam es zu einem Gesetz, das rund 20.000 Amtsträger dazu verpflichtete, eidesstattlich zu erklären, ob sie für die polnische Geheimpolizei gearbeitet hätten. Bei Falschaussagen drohte ihnen ein zehnjähriges Verbot, ein öffentliches Amt auszuüben. Auch dieses Gesetz entfaltete jedoch wenig Wirkung, weil inzwischen viele belastende Akten vernichtet worden waren.
Nach dem Wahlsieg der PiS-Partei ließ diese 2007 den Kreis der zu Überprüfenden stark ausweiten. Das Institut für Nationales Gedenken (IPN) sollte zudem wie in Tschechien und Litauen eine Liste aller geheimen Informanten veröffentlichen. Das damalige Verfassungsgericht kassierte auch diesen Beschluss und sorgte dafür, dass es in Polen seitdem rechtlich kaum noch möglich ist, öffentliche Ämter von früheren kommunistischen Kadern freizuhalten.
In Rumänien kam es erst 1999 zu einer ähnlichen Regelung wie in Polen. Auch dort sollten herausgehobene Amtsträger eine Erklärung abgeben, ob sie für die Geheimpolizei tätig gewesen waren. Ein Nationaler Rat zum Studium der Securitate-Archive (CNSAS) – und später auch ein Gericht – überprüften die Aussagen. Doch da das Innenministerium die relevanten Akten jahrelang nicht herausgab, gingen die mehr als 50.000 Überprüfungen größtenteils ins Leere. Nur 495 Personen konnten bis 2009 als ehemalige Securitate-Mitarbeiter identifiziert werden. Der ehemalige Staatspräsident Traian Băsescu zum Beispiel wurde erst 2019, fünf Jahre nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit, enttarnt.
Sieht man von Slowenien, Kroatien und der Slowakei ab, die überhaupt keine Lustrationsgesetze zustande brachten, bildet Bulgarien das Schlusslicht unter den zwölf ehemals kommunistischen Staaten in der EU. Obwohl eine Kommission dort 2001 festgestellt hatte, dass allein dem Parlament seit den ersten freien Wahlen 129 frühere Stasi-Mitarbeiter angehört hatten, dauerte es noch fünf Jahre, bis ein Gesetz „über die Erklärung der Zugehörigkeit bulgarischer Bürger zur Staatssicherheit“ in Kraft trat. Auch hier hatte sich das Verfassungsgericht mehrfach quergestellt.
Seit 2007 überprüft die COMDOS-Behörde nun regelmäßig Amtsträger vom Schuldirektor bis zum Staatspräsidenten auf eine frühere Stasi-Tätigkeit. 2010 kam dabei zum Beispiel heraus, dass mehr als 30 amtierende Botschafter und elf von 15 Metropoliten der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche für den Geheimdienst gearbeitet hatten. Folgen hatten die Enthüllungen nicht, da das Gesetz keinerlei Sanktionen vorsieht. Berufen hatte die Diplomaten der damalige Staatspräsident Georgi Parwanow, dessen Stasi-Tätigkeit schon 2007 bekannt geworden war – und der dennoch im Amt geblieben war.
Der nachsichtige Umgang mit den kommunistischen Funktionären hatte verschiedene Gründe: Zum einen gab es kaum Gegeneliten, die die alten Kader hätten ersetzen können. Die sozialistischen Diktatoren hatten diese im Verlauf ihrer mehr als 40jährigen totalitären Herrschaft gründlich ausgerottet. Zum anderen erfolgte der Übergang von der Diktatur zur Demokratie eher fließend und oft sogar im Einverständnis mit den Herrschenden. Die berühmten Runden Tische sicherten den organisatorisch überlegenen Funktionären von Anfang die bessere Ausgangsposition. Zum Dritten waren auch viele ehemalige Dissidenten gegen eine Entkommunisierung, sei es aus Naivität, sei es, weil sie einst selbst an den Kommunismus glaubten. Zudem geriet das Thema schon bald in den Parteienstreit.
Von internationalen Organisationen wie der UNO oder der EU gab es in dieser Frage ebenfalls keine Unterstützung. Die meisten ehemaligen Diktaturparteien wurden vielmehr schon nach kurzer Zeit in die Familie der europäischen Sozialdemokratie aufgenommen. Auch in Deutschland konnte es viele Sozialdemokraten kaum erwarten, mit den SED-Erben eine Regierung zu bilden. Aus diesem Grunde wird wohl auch in Mecklenburg-Vorpommern der nächste Koalitionsvertrag die Unterschrift eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters tragen.
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