Autorius: Mirko Lehmann Šaltinis: https://deutsch.rt.com/inland/... 2022-10-16 23:52:00, skaitė 693, komentavo 0
Verlegebereit mit Beton ummantelte, aber nach der Pipeline-Fertigstellung vorerst nicht mehr benötigte Röhren für Nord Stream 2 lagern noch im Hafengebiet von Mukran auf der Insel Rügen am 27. September 2022.
Von Mirko Lehmann
Wieder einmal gibt es Presseberichte, beispielsweise werfen Der Spiegel oder, darauf fußend, das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) der alten Bundesregierung vor, sich naiv bis fahrlässig so lange für den Bau von Nord Stream 2 eingesetzt und alle Warnungen vor einer angeblichen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen sträflich in den Wind geschlagen zu haben. Daran ist eigentlich nichts Neues. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Verdrehungen.
Rückblick
Schon Planung und Bau von Nord Stream (1) waren von vorgeblicher Sorge um die energiepolitische Unabhängigkeit Deutschlands, von Anfeindungen und Hindernissen begleitet. Die Schwierigkeiten und Steine aber, die man dem Folgeprojekt Nord Stream 2 in den Weg legte, wurden ins nahezu Unüberwindliche gesteigert. Um hier nur einige Fakten zu nennen: Die Europäische Union (EU) änderte im Nachhinein ihre Gasrichtlinie, und aus den USA hagelte es immer neue, massive Drohungen und Sanktionen. Schließlich sah sich das Schweizer Unternehmen, das mit seinen weltweit größten Rohrlegeschiffen die beiden Stränge von Nord Stream 2 in der Ostsee verlegt hatte, wenige Wochen vor Fertigstellung genötigt, zur Vermeidung einer Sanktionierung der Firma durch die USA seine Schiffe zum Ende 2019 doch noch abzuziehen. Die Erpressungen aus den USA hatten gewirkt.
Um die verbliebenen Teilstücke der beiden Rohrstränge einzusetzen, war die russische Seite – in Deutschland sind derartige Kapazitäten nicht vorhanden – gezwungen, mit eigenen Rohrlegeschiffen einzuspringen. Diese Spezialschiffe mussten jedoch teils erst aus dem Pazifik in die Ostsee verlegt und auch noch aufwendig umgerüstet werden. Mit beinahe zweijähriger Verzögerung konnte so schließlich Nord Stream 2 im September 2021 fertiggestellt werden.
Zwar hatte Olaf Scholz 2020, damals noch in seiner Eigenschaft als Bundesfinanzminister, den USA eine Milliarde Euro angeboten, um sich von den Sanktionen quasi "freizukaufen". Als Kompensation für die gnädige Duldung von Nord Stream 2 wurde von Deutschland auch die Errichtung zweier Terminals für den Import von Flüssiggas (LNG) aus den USA zugesagt. Gleichzeitig hatte es vonseiten der EU geheißen, sollte Russland je "Gas als Waffe" – nach Brüsseler Ansicht – einsetzten, werde dies das sofortige Ende des Betriebs von Nord Stream 2 bedeuten.
Allerdings waren bis Ende 2021 alle Bundesregierungen – ungeachtet ihrer parteipolitischen Zusammensetzung – darum bemüht, solche Vorwürfe und Unterstellungen zu entkräften, die immer wieder gegen dieses Projekt einer weiteren Gasleitung durch die Ostsee vorwiegend aus den USA, aber auch aus den baltischen Staaten und Polen erhoben wurden. So begegnete die Regierung Merkel diesen Vorwürfen stets mit dem Hinweis, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches Projekt.
Noch vor Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine verschärfte die neue, von der "Ampel"-Koalition gebildete Bundesregierung den Sanktionskurs gegenüber Moskau, im Einklang mit der EU drastisch. Das Zulassungsverfahren von Nord Stream 2 wurde auf Eis gelegt, nachdem alles dafür getan worden war, es so erscheinen zu lassen, als ob Moskau die vom Westen gezogene "rote Linie" – nämlich Energie "als Waffe" einzusetzen – längst überschritten hätte. Mithin hatten auch alle dank Scholz früher den USA in Aussicht gestellten "Schutzgeld"-Zahlungen nichts genutzt.
Abrechnung
Das RND verbreitet nun eine Geschichte weiter, die Der Spiegel schon auf der Basis eines bisher "geheim gehaltenen" Regierungsgutachtens zur Pipeline Nord Stream 2 verbreitete. Das im Dezember 2021 erstellte Gutachten behaupte – angeblich fälschlicherweise –, die Regierung Merkel sei davon ausgegangen, dass die neue Leitung die Versorgungssicherheit Deutschlands erhöhen würde. Der Kernsatz des 54-seitigen Gutachtens lautet nämlich:
"Die Gas- und Elektrizitätsversorgung der Bundesrepublik Deutschland wird nicht gefährdet."
In dem Regierungspapier wurde offenbar richtig begründet ausgeführt, dass auch "die besonderen Umstände des Einzelfalls" nichts an dieser Feststellung ändern würden, auch nicht der stets beschworene "Grundsatz der Energiesolidarität" der EU. Nun vermerkt das RND spitz, dass gerade einmal zwei Tage vor dem offiziellen Ende der Regierung Merkel der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das Gutachten an die zuständige Bundesnetzagentur geschickt hatte – woraus für sich genommen eigentlich nichts Bedenkliches zu schließen ist. Denn die Netzagentur hatte nun schlicht die Aufgabe, die nächsten Schritte für die Genehmigung der neuen Leitung zu unternehmen. Auch der Bundesminister der Finanzen, der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe – wie anrüchig! – dieses vermeintlich "brisante" Gutachten mit abgezeichnet.
Das Gutachten habe zwar für die Energieimporte richtig festgestellt, dass sich die "Importabhängigkeit der EU deutlich erhöht" hätte und – Ende 2021 – bei "fast 90 Prozent" gelegen habe. Aus diesem Tatbestand konstruiert der zitierte Pressebericht jedoch nun einen Vorwurf an das Wirtschaftsministerium, das angeblich nicht erkannt habe, welche "Gefahren" Nord Stream 2 mit sich bringen würde. Allerdings geht bei dieser Art von Unterstellungen regelmäßig unter, dass – wenn überhaupt von einer Abhängigkeit die Rede sein kann – diese Abhängigkeit stets gegenseitig zwischen Lieferant und Abnehmer besteht. Denn wer kein Gas liefert, erhält auch kein Geld.
Da das Bundeswirtschaftsministerium 2021 noch zu Recht davon ausging, dass es sich bei Nord Stream 2 um ein kommerzielles Projekt handelt, konnte es nüchtern festhalten:
"In diesem Kontext erhöht die Nord-Stream-2-Pipeline die europäische Versorgungssicherheit, da sie die Gasversorgung aus neuen Feldern der Jamal-Halbinsel ermöglicht."
Geschichte muss umgeschrieben werden
Der RND-Bericht hält nun dem Wirtschaftsministerium fälschlicherweise vor, es habe seinerzeit "Bedenken weggewischt", die im Anhörungsverfahren, das dem Gutachten vorausgegangen war, ja längst von der Ukraine und Polen geltend gemacht worden waren. Doch werden diese sogenannten Einwände der ukrainischen und polnischen Seite nicht eingeordnet, geschweige denn kritisch untersucht. Das RND begnügt sich mit der stereotypen Übernahme der längst bekannten Unterstellungen aus Kiew und Warschau, wonach die russische Seite seit 2008 wiederholt Gas "als politisches Instrument" genutzt hätte. Solch ein Verhalten liegt den USA und ihrem Anhängsel EU selbstverständlich stets fern, wie wir gegenwärtig wieder beobachten dürfen.
Dem damals von Altmaier geführten Bundeswirtschaftsministerium wird auch vorgehalten, es sei leichtfertig über andere Bedenken hinweg gegangen, etwa dass Gazprom "aufgrund personeller Überschneidungen direkt mit der russischen Regierung verflochten und diese daher in der Lage [sei], über Gazprom politischen Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben". Das Wirtschaftsministerium hätte darauf entgegnet, dass es "diese Hinweise geprüft" habe, "im Ergebnis aber keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der Gasversorgungssicherheit durch die Zertifizierung" erkennen könne.
Um das damalige Gutachten weiter in schlechtes Licht zu rücken, zitiert das RND aus einer Anfrage, wonach Der Spiegel von der Bundesnetzagentur erfahren hatte, dass der Füllstand des Gasspeichers Rehden im September und Oktober 2021, also während das Gutachten erstellt wurde, weniger als 10 Prozent betragen haben soll. Dieser größte deutsche Gasspeicher habe sich damals faktisch "unter Kontrolle von Gazprom" befunden. Auch an dieser Stelle fehlt wieder jede Recherche der Zusammenhänge und der Gründe für den Füllstand des Speichers, beispielsweise zum erhöhten Gasverbrauch im Sommer 2021 und zu den möglicherweise zu geringen Gasimport-Bestellungen von deutscher Seite.
Selbstgerechter Wahn
Die Art und Weise, in der nun in dieser Presse über das Regierungsgutachten vom Dezember 2021 in Auszügen berichtet wird, ist von Auslassungen, Entstellungen, Verdrehungen und eigenen Projektionen gekennzeichnet.
Diese Art der Darstellung reiht sich ein in die zahlreich zu beobachtenden, gleichgerichteten Bemühungen von maßgeblichen Politikern und Medien, eine seit Ende der 1960er Jahre eingeleitete Entspannungspolitik zu diskreditieren. Im selben Atemzug soll auch die energiepolitische Zusammenarbeit zwischen der damaligen Sowjetunion sowie dem heutigen Russland als Nachfolgestaat der UdSSR und den deutschen und westeuropäischen Partnern "erledigt" werden. Damit geht eine massive Kampagne gegen die noch verbliebenen Vertreter der Ost-West-Kooperation einher. Stellvertretend sei die Diskreditierung von Gerhard Schröder genannt, der durch die Streichung seiner Privilegien als Alt-Bundeskanzler nicht nur symbolisch "bestraft", sondern – wie man schlussfolgern kann – möglichst auch politisch kaltgestellt werden soll.
Das seit der Antike beliebte Verdammen und Auslöschen jeder Erinnerung (damnatio memoriae) – in diesem Falle in Bezug auf die Möglichkeit einer fruchtbringenden Zusammenarbeit mit Moskau – geht notwendigerweise einher mit dem entsprechenden Umschreiben der Geschichte der Entspannungspolitik, und zwar ausschließlich im streng transatlantischen Duktus.
Zu beobachten ist ein von penetrantem Moralisieren begleitetes Bestreben, sich gegenüber der russischen Seite nach Kräften gesprächsunfähig zu machen. Denn die Fähigkeit, einstmals wieder Gespräche führen zu können, würde freilich voraussetzen, zuhören und verstehen zu wollen und die Position der Gegenseite ernst zu nehmen. Doch das Bestreben des "Wertewestens", gar nicht erst in die Versuchung eines neuen Dialogs mit Moskau zu geraten, kann nur in die Selbstzerstörung und den eigenen Untergang führen.