Autorius: Günther Strauß Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2023-04-30 16:30:00, skaitė 877, komentavo 0
Paris: Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am 22. Januar 2023
von Günther Strauß
Deutschland ging in den letzten Jahren in einige Fallen. Der deutsche Atomausstieg zum Beispiel war weder dem Momentum einer globalen Energie-Transformation geschuldet, noch spielte Deutschland damit irgendeine nennenswerte Vorreiterrolle. Endgültig klar ist das erst heute, da unsere Nachbarn munter neue Atomkraftwerke bauen.
Der Köder – pseudoökologische Narrative – zielte auf unsere Sehnsucht ab, uns als besonders „umsichtig“ und „verantwortungsvoll“ hervorzutun. Das Ergebnis: Deutschland verlor in den letzten zehn Jahren seine Energiesicherheit. Viel Schlimmeres kann einer „Wirtschaftsnation“ kaum widerfahren. Es schwächt und stürzt sie in so heftige Nöte, dass sie sich als relevante Größe aus dem globalen Wettstreit abmelden muss. Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines kam einer finalen Offenlegung gleich: Es ging die ganzen Jahre nie um die Rettung der Umwelt, sondern darum, Deutschlands Energieversorgung zu unterminieren und Abhängigkeiten zu schaffen, die das Land kontrollierbar machen.
Mit der Geschichte um den Leopard-2-Panzer verhält es sich ähnlich. Nur dass Deutschland bislang noch nicht in die Falle getappt ist. Hätte Deutschland der Lieferung seines besten Kampfpanzers an die Ukraine zugestimmt, hätte Russland dies als direkten Kriegseintritt Deutschlands gewertet. Dabei liegt den Russen trotz allem noch viel an Deutschland. Zwischen den Zeilen manches russischen Analysten liest man auch jetzt noch Verständnis, ja sogar eine gewisse Empathie für die schlimme Lage, in die Deutschland durch seine Bündnispolitik gebracht wurde. Anders als hierzulande trennt man in Russland viel klarer zwischen den Deutschen und dem Regime und weiß daher, dass die Mehrheit der Deutschen keinen Krieg mit Russland will.
Ein solcher wäre in der Tat furchtbar. Nicht nur der unmittelbaren Folgen wegen, sondern auch angesichts der historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland, die sich über 400 Jahre erstrecken und von Peter I. über Katharina II. und Otto von Bismarck bis hin zu den Schröder-Putin-Jahren reichen. Jede Universität jenseits des Ural, heißt es, sei von Deutschen gegründet worden. Deutsche organisierten im Auftrag der Zaren die naturwissenschaftliche Erforschung und Kartografierung des Russischen Reiches, waren federführend beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung, machten weite Teile des russischen Bodens urbar, gründeten Stahlwerke, Käsereien, Schokoladenfabriken und wirkten als Ärzte, Geisteswissenschaftler, Städteplaner, Musiker, Konditoren oder Lehrer. Der deutsche Einfluss auf Russland ist bis heute im Land sichtbar, wo der Buchhalter „buchgalter“ und Butterbrote „buterbrody“ heißen. Und wo Russen deutsche Soldatenfriedhöfe mit Blumen schmücken, weil die Deutschen es nicht mehr tun.
In gewisser Weise sind Deutschland und Russland wie zwei Seiten einer Medaille. So klingt nicht nur der Name Preußens in anderen Sprachen (Prussia, Borussia) wie eine Schwester des Namens für Russland. Auch in der mentalen Beschaffenheit unserer beiden Völker gibt es große Schnittmengen: die Liebe zu ausufernden philosophischen Gedankengängen, dem metaphysischen Interesse an „Wahrheit“, einer tiefen Verehrung von Kunst, Musik und Logik, dem spirituellen Grundschwingen, dass man Dinge aus Pflicht gegenüber einem höheren Sinn und nicht bloß um des Profites Willen tut; aber auch in unserer Neigung zum Exzess, manchmal auch zu einer gewissen depressiven Lethargie und unserem kindlichen Glauben an „das Gute“, der sich nicht selten als Naivität gegenüber dem Bösen herausstellt. Selbst propagandistische Dämonisierung verbindet unsere Völker: Von den Engländern wurden die Deutschen im Ersten Weltkrieg als kinderfressende „Hunnen“ hingestellt; die Russen und ihre Kultur trifft heute nicht weniger Menschenverachtung.
Zwei wissen besser als alle anderen um den gegenseitigen Nutzen einer deutsch-russischen Symbiose, die, wenn man sie gewähren ließe, für sie selbst nachteilig wäre: Polen und die USA. Polen, weil es zwischen Deutschland und Russland liegt, seinerseits nicht von politischen Ambitionen gefeit ist, die deutlich über sein heutiges Staatsgebiet hinausreichen und historisch gesehen sowohl Russland als auch Deutschland als Erzkonkurrenten betrachtet. In der unmittelbaren Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges spielte Polen eine brandbeschleunigende Rolle, die von ihm selbst noch aufzuarbeiten sein wird.
Die USA sehen sich durch eine deutsch-russische Verbindung in ihrer globalen Vormachtstellung bedroht. Sie sind sich dieser für sie gefährlichen Kooperation übrigens weitaus länger bewusst, als sich Deutsche und Russen dieses Umstandes für die USA bewusst sind (Stichwort: Naivität). Beide realisieren wahrscheinlich erst seit September 2022, wie unerbittlich der Wille ist, sie voneinander zu entkoppeln: Die Sprengung von Nord Stream war ein Hieb in die Hauptschlagader der deutschen Energieversorgung und damit ein Kriegsakt gegen Deutschland. Deutschland weiß das, Russland weiß es. Beide Länder sind aber gegenwärtig nicht in einer Lage, ihre Beziehung zu verbessern, ohne dadurch noch Schlimmeres – als eine Nord-Stream-Sprengung – heraufzubeschwören.
So ist Scholz‘ und Pistorius‘ diplomatisches Herumlavieren um eine deutsche Leopard-2-Nichtlieferung derzeit wahrscheinlich das maximal Mögliche. Ob ihr Motiv gewesen ist, das deutsch-russische Verhältnis nicht noch stärker zu belasten, weiß keiner. Bei Scholz und Pistorius könnte auch schlicht für einen Moment die Frage angeklungen sein, wieso man das eigene Land jetzt auch noch dem russischen Zorn aussetzen sollte. Ergösse nämlich dieser sich über Deutschland zusätzlich zur Brutalität globaler US-Interessen, zusätzlich zum gegenwärtigen Oberwasser Polens, das meint, Deutschland mit hasserfüllter Demagogie und irrsinnigen „Reparationsforderungen“ demütigen zu müssen, zusätzlich zur Euro-Schulden-Last, über die Deutschland insbesondere von den Mittelmeer-Ländern am Gängelband gehalten wird, und zusätzlich zu seinen innenpolitischen und sozialen Problemen, sähe Deutschland aus eigener Kraft kein Morgen mehr.
Dabei war der Druck auf Deutschland im Vorfeld der Ramstein-Gespräche sehr groß. Polen, das Leopard-2-Panzer besitzt, kündigte am 18. Januar breitspurig an, wenn nötig auch gegen die Vertragsklausel einer Weiterveräußerung zu verstoßen und seine Leos auf jeden Fall der Ukraine zu geben. Die USA forderten wie immer, Deutschland müsse „endlich seiner Verantwortung nachkommen“. Von dem medialen Dauerfeuer aus der Ukraine ganz zu schweigen.
Doch dann fand irgendwie eine Meldung ihren Weg in die Medien, Deutschland sei bereit, der Ukraine Leopard-2-Panzer zu liefern, wenn die USA ihrerseits bereit wären, Abrams-Panzer zu liefern. Nach der amerikanischen Erwiderung, Abrams-Panzer seien zum derzeitigen Punkt „nicht sinnvoll“, kam auch gleich das Dementi aus Berlin, man hätte solch eine Bedingung nie gestellt. Allerdings war nun klar: Im Falle des Falles würde allein Deutschland „liefern“.
Ähnliches stellte sich am 20. Januar, am Tag des Treffens in Ramstein, mit Polen heraus. Nachdem Pistorius sich mit rhetorischem Geschick aus den Verstrickungen einer festen Zusage entwand, machte Polen nicht etwa die Drohung wahr, seine Leopard-2-Panzer auch ohne deutsche Genehmigung an die Ukraine zu geben. Es kündigte stattdessen an, erst mal polnische Altbestände an russischen T-72-Panzern zu liefern. Die Drohung war heiße Luft gewesen – und damit klar:
Der von einer Russland hassenden Phalanx aufgebaute Druck sollte nicht etwa ein gemeinsames, koordiniertes Handeln erzwingen oder gar der Ukraine helfen. Mit einer deutschen Leopard-2-Lieferung an die Ukraine wären, wie durch die Sprengung von Nord Stream, aus polnischer und aus US-Sicht Fakten geschaffen worden. Deutschland gälte in Russland wieder als Gegner auf dem Schlachtfeld und müsste, um sich zu schützen, seinerseits vollständig mit Russland brechen. Darum ging es: die Geister der Vergangenheit – die Panzerschlachten des Zweiten Weltkrieges – wieder auferstehen zu lassen und Deutschland in eine Lage zu bringen, aus der es nicht einmal mehr im Traum an ein gutes Verhältnis mit Russland denken kann. Als Folge dieses für Deutschland verhängnisvollen Schrittes könnte Polen nicht nur mit Ambitionen gen Osten liebäugeln und die USA die sie seit 1871 umtreibende und viel später von George Friedman so formulierte Frage „What will the Germans do?“ endlich zu den Akten legen.
Dass die Panzerlieferung eine Falle war, zeigt sich an der geplatzten Blase heißer polnischer Luft unmittelbar nach Pistorius‘ Absage. Man muss dankbar sein, dass Scholz und Pistorius genügend Rückgrat, Verstand, Glück im Unglück, militärische Bedenken oder was auch immer hatten, nicht in sie hineinzutappen. Vorerst jedenfalls. Allerdings bleibt Deutschland damit bis auf Weiteres ein Unsicherheitsfaktor für die NATO-Falken.