Autorius: RT Šaltinis: https://de.rt.com/meinung/1762... 2023-07-27 23:45:00, skaitė 473, komentavo 0
ehemals deutsch-deutsche Grenze bei Walkenried
Von Dagmar Henn
Manchmal führt eines zum anderen, und das Gesprächsprotokoll zwischen dem US-Außenminister James Baker und Michael Gorbatschow führte zu einem abermaligen Nachdenken über diesen so verheerend abgelaufenen Prozess namens "Wiedervereinigung". Wie hätte sich Deutschland entwickelt, hätte nicht Helmut Kohl die Wahl im Dezember 1990 gewonnen? Oder, andersherum, wie kommt es, dass das Land über 30 Jahre nach einer angeblichen Wiedervereinigung tiefer gespalten ist, als es das zu jener Zeit, als noch zwei deutsche Staaten bestanden, jemals war?
Um zu erkennen, wie tief diese Spaltung reicht, muss man sich nur einen der regelmäßig wiederkehrenden Texte über die "undemokratischen Ostdeutschen" nehmen und die "Ostdeutschen" durch Franzosen, Polen oder Italiener ersetzen. Sofort hätte man einen Text vor sich, der auf den ersten Blick als überheblich, ja geradezu als chauvinistisch zu erkennen ist. Von Russen einmal abgesehen, die auch in dieser Hinsicht mit den "Ostdeutschen" zu einer Kategorie zu gehören scheinen, gibt es keine ethnische Gruppe, über die in dieser Weise geschrieben werden dürfte, ohne sofort des Rassismus beschuldigt zu werden.
Wie konnte es dazu kommen? Wie in vielen anderen Fällen ist es schwer, zwischen unbewussten strukturellen Zwängen und Absicht zu unterscheiden; manche Prozesse, die quasi unbewusst beginnen, werden dann nutzbar gemacht, und nicht alles, was böse Wirkung zeigt, ist tatsächlich böse gemeint. Aber werfen wir einen Blick auf die Bundesrepublik Ende der 1980er.
Der erste Punkt, der es zumindest sehr erleichterte, anschließend den Bewohnern der fünf annektierten Bundesländer das Etikett der "Rechten" anzuhängen, war das Ergebnis der Wahl 1990. Die jüngere Generation hoffte auf eine Abwahl dieses drögen, provinziellen Kanzlers, und die Bundestagswahl 1990 schien endlich die Chance zu sein, sich von Saumagen und geistig-moralischer Wende zu befreien – bis die Wähler auf dem Gebiet der DDR der Birne eine Mehrheit verschafften.
Das hatte viel mit falschen Versprechen zu tun, "blühende Landschaften" etc., und mit dem Anschlag auf Lafontaine, mit der konsequenten Arbeit des bundesdeutschen Fernsehens, möglichst nicht zu erklären, wie verheerend sich eine schnelle Währungsunion auf die Wirtschaft im Osten auswirken würde und andere Kleinigkeiten mehr; das Ergebnis jedenfalls war ein köchelnder Zorn auf die Neuwähler, die die ersehnte Veränderung verhindert hatten. Auf dieser Grundlage war es leicht, in Folge mit massiver staatlicher Förderung des Exports entsprechender Strukturen und Kader aus dem Westen die neuen Bundesländer zu Naziland zu machen.
Nur ein kurzer Auszug aus einem offiziellen Text der Bundeszentrale für politische Bildung zur Entwicklung der letzten Jahre vor 1989 in der BRD:
"Durch schrittweise Veränderungen 1977, 1982 und 1983 wurden die Renten nicht mehr nach dem Brutto-, sondern nach dem Nettoeinkommen der Arbeitnehmer berechnet, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung wurden reduziert, und in der gesetzlichen Krankenversicherung wurden Gebühren für Medikamente eingeführt."
Der soziale Wohnungsbau wurde trotz Wohnungsmangels komplett zurückgefahren, und die bis heute anhaltende Mietsteigerung setzte ein. Es gab über zwei Millionen Arbeitslose, und das Wirtschaftswachstum war niedrig. Es war mitnichten so, dass der Westen Ende der 1980er blühte. Der Spruch, er habe nicht gesiegt, sondern sei nur übrig geblieben, hat eine sehr reale Grundlage.
Die Ausweitung der Hochschulen, die Anfang der 1960er erforderlich wurde, als der Zufluss fertig ausgebildeter Kräfte aus der DDR gekappt wurde, hatte mittlerweile dazu geführt, dass eine ganze Generation akademischen Nachwuchses in einem Beschäftigungs- und Beförderungsstau hing. Das galt für die Behörden ebenso wie für die Universitäten.
Dieses Problem wurde nach 1990 dadurch gelöst, dass man die Stellen einer Verwaltung, die an die Regeln der BRD angeglichen werden musste, mit eben diesen Leuten besetzte. Anfang der Neunziger gab es den großen Drang nach Osten; dort war die ersehnte Karriere möglich, wenn auch zulasten der dortigen Einwohner. Diese banale Tatsache ist einer der Puzzlesteine.
Der nächste ist die ökonomische Lage. Ein sanfter Übergang, wie ihn Lafontaine geplant und beworben hatte, hätte die Betriebe auf dem Gebiet der DDR weitgehend erhalten; das Wachstum, von dem die westlichen Unternehmen nach 1990 profitierten, hätte es aber ebenfalls nicht gegeben. Der Raubzug, der in der DDR stattfand, bediente vielfach Firmen, die der Regierung Kohl nahestanden. Kali + Salz beispielsweise, eine Firma, die ihre Konkurrenz in der DDR per Treuhand billig aufkaufte und dann schlicht schloss, gehört zum Konglomerat um BASF, und BASF war gewissermaßen der Hauskonzern von Helmut Kohl (oder Helmut Kohl war der Hauskanzler der BASF).
Die Tatsache, dass Kohl und seine Mannschaft zu den ursprünglichen Kalten Kriegern gehörten, wird die von ihnen getroffenen Entscheidungen ebenfalls beeinflusst haben. Selbst wenn man berücksichtigt, dass auch die Ostpolitik der SPD alles andere als frei von bösen Hintergedanken war, so war es doch eine Strategie, die davon ausging, dass der gegebene Zustand bleiben würde, was ein gewisses Maß an Respekt für das Gegenüber unverzichtbar machte. Die CDU war Gegner dieser Ostpolitik, und Helmut Kohl nahm ihre Folgen eher zähneknirschend hin. Als sich dann die Möglichkeit ergab, wurden sofort die Muster der Adenauerzeit reaktiviert.
Es mag sogar sein, dass in der Entscheidung dieser Regierung, den neuen Staat in der NATO zu belassen, auch die Erfahrung mit den in der BRD omnipräsenten alten Nazis eine Rolle spielte. Die Forderung nach einer eigenständigen nuklearen Bewaffnung der Bundesrepublik war gerade innerhalb der CDU stetig präsent gewesen. Aber was sicher auch eine Rolle spielte, war, dass sich diese Generation von Politikern plötzlich als Sieger im Kalten Krieg sah und mit den Bewohnern der DDR letzten Endes so umging, wie es Sieger mit Besiegten tun. Das wäre vielleicht auch noch bearbeitbar gewesen, wenn man die Annexion nicht als Vereinigung verkauft hätte.
Im ganzen Verlauf der ersten Jahre gibt es ein ungeheures Maß an Feindseligkeit, Gier und Zerstörungswillen. Die Aberkennung von Berufsabschlüssen, beispielsweise. Machte es wirklich einen Unterschied, ob ein Zahnarzt einen Abschluss als Dr. med. Dent hat oder ein Diplom als Stomatologe? Wenn man aus zwei Teilen wirklich wieder ein Land machen will, warum lässt man dann Hinz und Kunz erleben, dass ihre Ausbildung nichts wert ist, obwohl die Standards im Bildungswesen der DDR in weiten Teilen sogar höher waren als im Westen (was spätestens mit der ersten PISA-Studie noch einmal bestätigt wurde)? Die westdeutsche Erzählung nimmt das nur bezogen auf politische Positionen wahr, als Maßnahme gegen die "Kollaborateure der Diktatur", aber es betraf tatsächlich die meisten Berufsausbildungen. Es war also nicht nur der Betrieb oder die Struktur weg, auch eine der Qualifikation entsprechende Beschäftigung im Westen war nicht erreichbar.
Klar, das war im Grunde seitens der damaligen Bundesregierung gehandelt, als sei sie nach wie vor eine Regierung der BRD und vertrete deren Interessen und eben nicht die der gesamten neuen Republik. Und gedeckt wurde dieses bösartige Verhalten dadurch, dass die finstersten Erzählungen aus den finstersten Zeiten des Adenauerschen Antikommunismus wieder aufgekocht wurden. Die Tatsache, dass weite Teile beispielsweise der universitären Kader entfernt wurden, wurde dreister Weise auch noch damit begründet, dass es die Lehre sei, die man aus dem viel zu nachsichtigen Umgang mit den Nazis gezogen habe – wie dreist das war, lässt sich daran erkennen, dass man keine Hemmungen hatte, Positionen, aus denen man Leute vertrieb, die man für der SED zu nahe hielt, ausgerechnet mit Leuten zu besetzen, die Nazis gewesen waren; damals schon eine besondere Leistung, da man sie schlicht aus Altersgründen hätte fernhalten können.
Die ganze Erzählung von den "zwei deutschen Diktaturen", deren eine die Welt in einen blutigen Krieg stürzte, Millionen in Konzentrationslagern vernichtete und ihre Staatsgewalt auf Folter, Mord und Plünderung baute, während man der anderen eigentlich nur vorwerfen kann, nicht rechtzeitig die qualitative Sozialforschung durch die quantitative per Meinungsforschungsinstitut ersetzt zu haben (ein großer Teil der Akten des MfS diente nämlich gar nicht dazu, einzelne Personen zu observieren, sondern nur dazu, die Ansichten, Wünsche und Kritikpunkte der Bevölkerung im Blick zu behalten) und in einem kritischen historischen Moment die Grenze gesichert zu haben, was beide Teile davor bewahrte, als Schlachtfeld zu enden.
Allerdings war die jüngere Generation im Westen geradezu darauf gedrillt, Andere mit Misstrauen zu betrachten. Es prägt, wenn man bei jedem älteren Mann, der einem irgendwo begegnet, nicht weiß, ob man gerade einen Massenmörder vor sich hat. Ausgerechnet der Drehbuchautor Herbert Reinicker, der für die Fernsehserien "Der Kommissar" und "Derrick" verantwortlich war und der auch schon für Goebbels geschrieben hatte, hat dieser Erwartung, dass in jeder bürgerlichen Villa einige Leichen im Keller liegen müssen, ein Monument von hunderten Folgen errichtet. Es war nicht allzu schwer, dieses Misstrauen auf ein neues Objekt zu richten (insbesondere, wenn, siehe oben, dabei auch noch Vorteile für die eigene Karriere winken).
Man stelle sich das einmal als Beziehung vor. Eine Art Zwangsheirat, in der dann ausgerechnet der gewalttätigere Partner dem anderen vorwirft, gewalttätig zu sein; in der nur die Lebensgeschichte des einen, aber nicht die des anderen Gültigkeit hat. Das kann nicht gut gehen. Und mit Liebe hat das wirklich nichts zu tun.
Dabei hätte sich vieles lernen lassen können. Die DDR hatte keine demografischen Probleme, ganz im Gegensatz zur BRD, und das ist nichts, was sich verordnen ließe; da geht es um handfeste biografische Sicherheit. Sie hatte es geschafft, trotz wesentlich ungünstigerer Voraussetzungen zu den führenden Industrienationen aufzusteigen. 1981 stand das kleine Land mit nur einem Drittel der Bevölkerung der westdeutschen Konkurrenz an zwölfter Stelle weltweit; und das trotz der Reparationen zu Beginn und des Verlusts der Steinkohlereviere und der Notwendigkeit, die komplette Schwerindustrie neu aufzubauen. Der entscheidende Engpass, der Mangel an Energie, war gerade erst beseitigt (vielleicht sind deshalb die Grünen so hartleibige Ignoranten in der Frage, wie wichtig eine sichere Energieversorgung ist, weil dann auch die DDR im Rückblick besser dastünde und das ideologisch auf keinen Fall sein darf).
Aber da ist noch mehr. Die einzige Möglichkeit, die für eine Integration in die West-Eliten gelassen wurde, war die Rolle als armes Opfer der Diktatur. Musterbeispiel dafür ist Angela Merkel. Nichts in ihrer Biografie vor 1989 weist wirklich darauf hin, dass sie irgendwie leiden musste, aber sie wollte nach oben, und dafür muss man eben Opfer sein und stetig beteuern, wie abscheulich man die DDR und ihre Strukturen fand. Das ist psychisch eine sehr anstrengende Rolle, die zu bewältigen es ein ungeheures Maß an Opportunismus und Machtgier braucht, und immer lauert irgendwo in der Vergangenheit eine Wahrheit, die man am liebsten auslöschen würde. Womöglich hat das sogar eine Rolle gespielt bei ihrem Betrug mit Minsk II – ihr Studienjahr in der Sowjetunion absolvierte sie ausgerechnet in Donezk, der Stadt, deren achtjährige Bombardierung sie ungerührt geschehen ließ.
Es ist kein Wunder, dass die "Willkommenskultur" auf dem Gebiet der DDR auf keinen fruchtbaren Boden fiel. Nicht nur, weil die grundlegende Erfahrung, durch Fremde aus dem Westen übernommen worden zu sein, noch nicht verarbeitet war, weil sie nicht ausgesprochen werden durfte (und bis heute nicht darf). Sondern auch, weil es die eigene Erfahrung gab, dass die Westdeutschen es nicht einmal geschafft hatten, eine Bevölkerungsgruppe zu integrieren, die die gleiche Sprache sprach, der gleichen Kultur angehörte und nur durch vierzig Jahre in einer anderen politischen Struktur von ihnen getrennt war. Wundert es dann, wenn es als völlige Fiktion gesehen wird, das dann mit Menschen zu schaffen, die auch noch eine andere Sprache und eine andere Kultur aufweisen?
Es war ein unglücklicher Zufall, dass sich das Bild des bräsigen Saumagenfans Helmut Kohl und das der Ostdeutschen, die keine Pizza und keine Burger kannten, überlagerten; aber das hätte sich auflösen lassen. Selbst die Ideologisierung der ersten Jahre wäre noch verdaubar gewesen, hätte sie denn irgendwann ein Ende gefunden.
Stattdessen führte der auch innerhalb der deutschen Linken verbreitete Antikommunismus dann dazu, dass gerade die Kernfragen, die einmal das definierten, was links ist (anständige Wohnungen, ein gesichertes Leben, Zugang zu Bildung und Gesundheit für alle) schon allein deshalb bei Seite geschoben wurden, weil sie in der DDR besser gelöst worden waren, man aber nichts mit dieser bösen Stasi-Diktatur zu tun haben wollte; und sei es, um selbst endlich den ständigen Sprüchen zu entgehen, man sei doch genau so. Man war schließlich urban, modern und überhaupt ganz anders, und die DDR-Gewohnheiten mit Datsche und Volkstanz kamen einem sehr großväterlich vor.
Es war eine Illusion, weil letztlich der Fortschritt in den Lebensbedingungen der eigentlich entscheidende ist, und der eigene Widerwille gegen Wurst, Sauerkraut und Kartoffelbrei nur den gegen diese andere, düstere Tradition kaschierte, gegen die man in all den Jahrzehnten BRD nicht ankam. Aber das genügte, um einen Kompromiss mit jenen zu schließen, die mit Begeisterung am abtrünnigen Teil Vergeltung übten, obwohl diese ihre "Diktaturopfer" gerne und reichlich gerade unter Naziverbrechern fanden. Es war eben nicht zu haben, jenen Teil Deutschlands, in dem tatsächlich die Gegner der Nazis regierten, zu verleumden, ohne gleichzeitig die wirkliche Diktatur zu verharmlosen. Was bis heute anhält, auch wenn die Floskeln anders klingen, und mit dazu beiträgt, dass der Schritt zum Bündnis mit ukrainischen Nazis ein so kleiner war.
Im Ergebnis ist heute trotz eines einzigen ökonomischen Systems der Abstand zwischen Ost und West größer, als er während der realen Teilung war. Wie das vor dieser historischen Teilung der Fall war, als die Westzonen mit der Währungsreform den Grundstein für die vierzig getrennten Jahre legten, geht auch diese Fortsetzung der deutschen Teilung vom Westen aus. Und wie es weitaus einfacher ist, sich gegen eine explizite, von außen auferlegte, Regel zu wenden als gegen eine internalisierte, ins eigene Denken übernommene, ist diese Teilung tatsächlich schwerer zu überwinden, als es sämtliche Grenzanlagen je waren (die, wenn es nicht den Vorteil der fertig gelieferten Fachleute gegeben hätte, vom Westen in dem Moment wieder errichtet worden wären, indem der Osten sie preisgegeben hätte; man muss sich nur einmal kundig machen, wie viele Strafverfahren unter Adenauer geführt wurden, weil Westdeutsche es gewagt hatten, in die falsche Richtung zu fahren).
Gleich, ob die ursprüngliche Entwicklung durch die innere Dynamik der BRD ausgelöst wurde oder von vorneherein so beabsichtigt war, heute ist diese Trennung in Deutsche erster und zweiter Klasse geradezu konstitutiv für diese Republik. Der westdeutsche Spießbürger kann es sich erlauben, sich einzureden, Menschen aus jedem Winkel der Welt zu respektieren (was er nicht tut), weil er sein Bedürfnis nach Demütigung und Ressentiment jederzeit auf die heimische Minderheit richten kann. Das innere Herrenmenschentum – das nebenbei durch eine Verfassungsdebatte die Grundlage verloren hätte, weil da plötzlich ein gleiches Gegenüber erfahren worden wäre –, ist inzwischen bereit, wieder überzuquellen und die Welt zu beglücken, und der Exorzismus am kritischen Geist, der damals vorgenommen wurde, sorgt dafür, dass die heutigen Politiker und Medienvertreter nicht einmal mehr wahrnehmen, welches Unheil sie anrichten.
In all dem erweisen sich die verachteten "Brüder und Schwestern" auch noch als Refugium der Vernunft, und der erste Schritt zu einer Heilung des deutschen Zustands bestünde ausgerechnet darin, diese Tatsache anzuerkennen. Dem stehen ausgerechnet die Reste einer Westlinken im Weg, die sich aus einer Niederlage, die auch ihre Niederlage war, in die Identifikation mit dem Sieger gerettet hat.