Autorius: RT Šaltinis: https://de.rt.com/meinung/1864... 2023-11-11 18:40:00, skaitė 519, komentavo 0
Letzter Wehrpflichtigenjahrgang 2011
Von Dagmar Henn
Jetzt also eine Debatte über Wehrpflicht. Das lag schon in der Luft, seit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erklärte: "Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein." Und es folgt natürlich dem altbekannten Schema – erst in die Rüstung investieren, und dann die Soldaten dafür auftreiben. Irgendwer muss den ganzen Kram, für den man die hundert Milliarden Sonderbudget geschaffen hat, bedienen...
Der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, meint nun, die Politik müsse sich "über ein Dienstjahr oder die Wehrpflicht Gedanken machen." Nicht, dass das militärisch viel bringt; in den vielen Analysen zu den Gefechten in der Ukraine konnte man einiges über die Voraussetzungen des Gefechts verbundener Waffen lernen, und eine einjährige Wehrpflicht liefert allerhöchstens eine mittelmäßige Infanterie; aber es geht dabei nicht wirklich um militärische Fragen, eher darum, die Bevölkerung bezogen auf die Kriege, die der Westen anzettelt, bei Laune zu halten.
"Unsere Art zu leben wird gerade angegriffen, selbst wenn es viele noch nicht wahrnehmen oder wahrnehmen wollen," erklärte derselbe Wüstner vor einigen Tagen in der Süddeutschen. Der Herr hat noch dazu einen ausgeprägten Hang zu Verschwörungstheorien:
"Putin könne etwa mit Söldnergruppen ohne Hoheitsabzeichen, damit unterhalb des Artikels 5 des Nato-Vertrags, der den allgemeinen Bündnisfall bedeutet, Länder an der Bündnisgrenze attackieren und testen, 'so wie damals die Krim'."
Damit setzt Wüstner natürlich auf den schlechten Informationsstand der Deutschen, dessen Aufrechterhaltung die tägliche Aufgabe der Medienvertreter ist. Er selbst weiß selbstverständlich, dass nicht nur die Bevölkerung der Krim sich im Grunde seit der Entstehung einer unabhängigen Ukraine darum bemühte, wieder zurück zu Russland zu kommen, sondern auch – und das ist weit wichtiger – dass auf der Krim wegen des Vertrags über die Stationierung der Schwarzmeerflotte die ganze Zeit über tausende russischer Soldaten stationiert waren; dass für das Auftauchen der damaligen "höflichen grünen Männer" daher nichts erforderlich war, das irgendwie einer Infiltration gleichgesetzt werden könnte. Und selbstverständlich verzichtet Wüstner darauf, zu erwähnen, in welchen "Ländern an der Bündnisgrenze" derzeit Einheiten der russischen Streitkräfte stationiert sind.
Aber bei dieser Albernheit geht es schlicht darum, ein Gespenst zu erschaffen. Er benennt jedoch, ziemlich beiläufig, dann die technisch betrachtet einzige Verwendung, bei der die Drittliga-Infanteristen, die seine gewünschte Wehrpflicht erzeugen würde, überhaupt von Nutzen wären. Man müsse fragen, "wie wir auf Gefahren im Innern – Stichwort Innerer Notstand, für den Fall, dass die Polizei nicht mehr ausreichend agieren kann – vorbereitet sind."
Aha. Den Deutschen so die Seele zurechtmassieren, dass sie es begrüßen, wenn ihre Kinder dazu abgerichtet werden, eine Regierung zu verteidigen, die gegen ihre Interessen arbeitet? Macht Sinn. Wer die Art und Weise kennt, wie solche Stichworte den Weg von den ersten Erwähnungen hin zu offizieller Politik zurücklegen, kann nicht übersehen, dass da etwas im Busch ist; schließlich brummelt da nicht nur Pistorius vor sich hin, sondern in koalitionsnahen Kernmedien wie der Süddeutschen und der Zeit, aber auch im Cicero wird dieses Leitmotiv bereits aufgegriffen und varriiert. Nachdem gerade die Bundeswehrtagung läuft, werden noch massenhaft entsprechende Aussagen folgen.
Abgesehen von dem bereits offenbarten Wunsch nach einer Aufstandsbekämpfungsarmee (war da nicht zu Corona-Zeiten bereits etwas unterwegs?) prallt die Vorstellung, die Wüstner verbreitet, mit einem unangenehmen Knirschen auf die Wirklichkeit.
Bund und Länder müssten sich viel stärker um Szenarien wie Angriffe auf kritische Infrastruktur, Wasser- und Stromversorgung und Terroranschläge kümmern, zitiert ihn die SZ. Beim Lesen dieser Formulierung weiß man nicht mehr, ob man nicht versehentlich in ein Satiremagazin gerutscht ist. Da war doch irgendwas, oder? Irgendein Anschlag auf kritische Infrastruktur... den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – nein, das darf man nicht denken. Jedenfalls nicht, wenn man Wüstner heißt.
An genau diesem Punkt wird die ganze Kampagne endgültig zu einer Art absurden Theaters. Ginge es wirklich um die Möglichkeit, deutsche Interessen zu verteidigen, dann wäre es unvermeidlich, sich auf allen Ebenen mit dem Anschlag auf Nord Stream auseinanderzusetzen. Was natürlich sofort das Problem sichtbar macht, dass selbst die beste Armee der Welt nichts nützte, wenn die politische Führung des Landes eben diese Interessen ohne jeden Widerstand bereitwillig preisgibt.
Wenn es einen, einen einzigen realen Grund gäbe, eine deutsche Armee zu stärken, dann zur Erfüllung einer einzigen Aufgabe: einer Wiederherstellung der deutschen Souveränität und einer Vertreibung der US-amerikanischen Truppen von deutschem Boden. Das wäre ein sinnvoller, nützlicher und notwendiger Akt der Selbstverteidigung.
Der bedeutendste Angriff auf "unsere Art zu leben" erfolgte schließlich durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Minsker Vereinbarungen nicht umsetzen, ein Gespräch über die russischen Vorschläge im Dezember 2021 verweigern, und sich dann mit den Kiewer Truppen gemein machen, das sind alles politische Entscheidungen, die deutlich für die geistige Beschränktheit der Ausführenden sprechen, aber nicht die Basis des Wirtschaftslebens berührt haben. Auch wenn die Berliner Gurkentruppe den US-Anschlag vermutlich sogar begrüßt hat, weil er ihnen Platz zur Umsetzung ihrer Wahnvorstellungen verschaffte – dieser Angriff richtete sich gegen die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen.
Wollte man sich wirklich über eine Verteidigung deutscher Interessen unterhalten, und sich dabei nicht auf die Interessen großer Konzerne (oder nur deren Investment-Abteilung) beschränken, sondern die volkswirtschaftlichen Grundlagen in Blick nehmen, dann führt kein Weg an diesem Zerstörungsakt vorbei. Erlangung und Sicherung der Souveränität ist die einzige legitime Aufgabe, die eine Armee haben kann. Die Bundeswehr erwies sich an diesem Punkt als ebenso nutzlos wie die Bundesregierung.
Nicht einmal das traurige Schauspiel, das die Ukraine bietet, scheint ein Nachdenken auszulösen. Dabei ist das Wort traurig überaus ernst gemeint. Wer es noch nicht begriffen hat, dass die Armee eines Landes, das seine Souveränität komplett verloren hat, wie die Ukraine, nur noch Kanonenfutter für die Pläne fremder Mächte ist, der wird nie verstehen, welche politische Bedeutung die Souveränität hat und wie unermesslich hoch der Preis für ihren Verlust werden kann. Das Problem der Ukraine heißt und hieß nie Russland, sondern immer USA.
Nun wird ein Chor aufgestellt, der den Deutschen das Lied von der "Wehrfähigkeit" singen soll. So wie der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels im Cicero erklärt: "Wehrhaftigkeit ist heute das Gebot der Stunde." Um die "Feinde der Demokratie" zu bekämpfen. Um einer "besondere[n] Verantwortung für das Überleben der Ukraine" nachzukommen, von der "Solidarität mit Israel" ganz zu schweigen.
In der bösen, finsteren Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Optionen – entweder, jeder Schritt zur Stärkung einer deutschen Armee dient einzig dazu, mehr Kanonenfutter für jene zu liefern, denen die Souveränität ausgehändigt wurde, und eben diesen Zustand gegen die eigene Bevölkerung im Innern durchzusetzen, oder er dient einer Wiederherstellung dieser Souveränität, deren Voraussetzungen oben beschrieben wurden. Mehr noch – unter den Bedingungen einer verlorenen Souveränität ist die schwächste Armee die beste, und die stärkste nur ein Feind der eigenen Bevölkerung.
Nicht, dass deutsche Armeen geschichtlich im Interesse der Bevölkerung gehandelt hätten. Das kann man weder von jener des Ersten, erst recht nicht von jener des Zweiten Weltkriegs behaupten, einzig von jener fast vergessen gemachten des anderen deutschen Staates. Aber um einen derart würdelosen Zustand zu finden, wie ihn heute die Bundeswehr verkörpert, muss man schon weiter zurückgehen. Zum Landgrafen von Hessen-Kassel beispielsweise, der im 18. Jahrhundert 30.000 seiner Untertanen an die britische Krone verschacherte, um – ja, die Geschichte hat ihren eigenen Humor – den Aufstand amerikanischer Siedler gegen die britische Krone niederschlagen zu helfen.