Autorius: Hauke Ritz Šaltinis: https://deutsch.rt.com/meinung... 2016-07-06 09:18:15, skaitė 1390, komentavo 0
Würde die westliche Welt ihren selbstgesetzten Idealen folgen, müsste sie eine multipolare Weltordnung anstreben. Doch im neuen Kalten Krieg drängt der Westen auf ein globales System mit nur einem Machtzentrum. Im letzten Teil seines Essays blickt Gastautor Dr. Hauke Ritz auf die kulturellen Ursprünge dieses Widerspruchs. Wie stehen die Entwicklungen der Gegenwart im Zusammenhang mit der Vergangenheit? Wie sollte sich die kritische Bevölkerung in diesem konfliktiven Spannungsfeld positionieren?
Ein Gastbeitrag von Dr. Hauke Ritz
Teil XI: Der Gegensatz einer unipolaren und multipolaren Weltordnung
Der neue Kalte Krieg basiert auf zwei konkurrierenden Konzepten, nämlich dem Konzept einer aus einem einzigen westlichen Machtpol bestehenden unipolaren Weltordnung, die von den USA und ihren Verbündeten vertreten wird, und dem einer multipolaren Weltordnung, die in erster Linie von Russland, aber auch von China und Iran und einigen anderen Schwellenländern angestrebt wird. Beide Konzepte enthalten ganz unterschiedliche Implikationen bezüglich des Wechselverhältnisses von Geopolitik und Kultur.
Welche dies sind, können wir erkennen, wenn wir einen genaueren Blick auf ein Paradox des neuen Kalten Krieges werfen. Das Paradox besteht darin, dass der neue Kalte Krieg auf der einen Seite von den USA und ihren engsten Verbündeten gezielt vorangetrieben wird, während er auf der anderen Seite den USA und dem Westen insgesamt erheblichen Schaden zufügt. Dies ist vor allem dann schwer zu verstehen, wenn man bedenkt, dass die USA und Westeuropa nach dem Fall der Berliner Mauer die Chance gehabt hatten Russland weitgehend zu ihren Bedingungen in die Weltordnung zu integrieren. Russland war unter Jelzin in den frühen 1990er Jahren bereit, sich dem politischen System des Westens weitgehend anzupassen.
Hätten die USA sich nach dem Ende des Sozialismus darauf eingelassen, Russland in die westliche Welt mit einzubeziehen, so hätte sich das westliche Weltsystem zu einer nördlichen Weltordnung transformiert. Der heute zur Realität gewordene Aufstieg der südlichen Hemisphäre, vor allem Chinas und Indiens, würde unter diesen Bedingungen kein besonders großes Problem darstellen. Der Westen wäre aus einer solchen Einbeziehung Russlands insgesamt gestärkt hervorgegangen. Er hätte die unipolare Weltordnung mit Russland statt gegen Russland errichten können.
Eine solche Einbeziehung Russlands wäre vor allem deshalb für den Westen von großem Vorteil gewesen, weil die westliche Welt durch ihre koloniale Vergangenheit erheblich belastet ist. Hätten die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland die ehemalige Gegenmacht zum Imperialismus, nämlich Russland, in ihre eigenen Reihen mit aufgenommen, so hätte dieses den Westen nicht nur geographisch und militärisch gestärkt. Es hätte vor allem seine Glaubwürdigkeit gegenüber den Ländern des Südens gesteigert. Es hätte dem Westen ermöglicht, den Wahrheitsgehalt seiner Werteordnung zu beweisen und auf das Versprechen, das mit diesen Werten verbunden ist, zumindest zuzustreben.
Doch durch den Ausschluss Russlands ist nun aber der genau gegenteilige Effekt eingetreten. Die USA haben Moskau durch ihre Russlandpolitik gezwungen, ein Bündnis mit China, Iran und anderen Schwellenländern einzugehen. Dieses so entstandene Gegenbündnis stützt sich auf Erinnerungen an die koloniale Vergangenheit und besitzt das Potenzial, den Westen erheblich zu schwächen. Mit anderen Worten, die gesamte Politik des Westens gegenüber Russland nach dem Mauerfall ist irrational. Sie ist in so erheblichem Maße irrational, dass dies nach einer Erklärung verlangt.
Nun wurde in verschiedenen Folgen dieses umfassenden Essays bereits davon gesprochen, dass der klassische Kalte Krieg auch eine kulturelle Dimension besessen hat. Dass z.B. die CIA im Kalten Krieg eine nicht-kommunistische Linke im Westen aufgebaut hat, um so den Einfluss der Arbeiterbewegung sowie den der UdSSR zu begrenzen. Die These dieses vorerst letzten Teils des Essays lautet: Die Politik der USA gegenüber Russland hat etwas mit der Kulturpolitik während des Kalten Krieges zu tun.
Im Kalten Krieg haben sich bestimmte Werkzeuge der Kulturbeeinflussung herausgebildet. Einmal in der Welt, verschwinden diese Techniken nicht mehr. Sie sind zu einem entscheidenden Faktor geworden, unter dem moderne Kulturentwicklung heute stattfindet.
Parallel zu den technischen Möglichkeiten, Kulturentwicklung zu beeinflussen, haben sich während des Kalten Krieges bestimmte inhaltliche Grundbestimmungen westlicher Kulturpolitik herausgebildet. Auch diese blieben in Kraft – unabhängig davon, dass der Konkurrent, gegen dessen Selbstverständnis sie sich einst gewendet hatten, längst verschwunden ist.
Im Mittelpunkt der westlichen Kulturpolitik, wie sie im Kalten Krieg entworfen wurde, stand das Individuum. Die Betonung der Rechte des Individuums stellte eine Antwort auf die Tatsache dar, dass die Sowjetunion auf soziale und kollektive Werte setzte. Überall, wo die Bedürfnisse des Individuums an eine Grenze stießen, wo Sitten oder Traditionen diesen zu widersprechen schienen, bemühte sich die westliche Kulturpolitik deshalb, diese Sitten und Traditionen selbst in Frage zu stellen.
Doch das Individuum kann zwar der Träger von Rechten und die Quelle von Bedürfnissen sein. Aber es kann niemals der Träger von Kultur selbst sein. Kultur wird von der Gesellschaft geschaffen und durch Gemeinschaften in Form von Tradition aufrechterhalten. Wo die Gemeinschaft als Kulturträger von der Politik nicht mehr angesprochen werden kann, wo Tradition als solche mit Unterdrückung gleichgesetzt wird, dort beschränkt sich Freiheit auf Individualismus. Margaret Thatchers berühmter Ausspruch – „There is no such thing as a society“ (So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht) – fasst das Grundprinzip der westlichen Kulturpolitik gut zusammen.
Doch die rein individuelle Freiheit mündet leicht in Leere und Relativismus. Es ist die Freiheit, sich die Haare zu färben, zu provozieren oder Schamgrenzen willkürlich zu verletzen. Es ist die Freiheit, die Komplexität von historisch gewachsenen Kulturformen in Fragezu stellen und gewaltsam zu reduzieren. Es ist die Freiheit von etwas, aber nicht die Freiheit zu etwas.
Ein ausschließlich auf das Individuum bezogener Freiheitsbegriff mündet in die Idee einer fortgesetzten Entgrenzung. Er führt zum Abbruch oder zumindest zur Relativierung der vorhandenen Kulturformen. Er fragmentiert die Gesellschaft, löst ihre Identität auf und erzeugt ein kulturelles Proletariat, das Willkür und selbst gewählte Hässlichkeit mit Selbstverwirklichung verwechselt.
Die geistige und kulturelle Leere, die nach Jahrzehnten des Individualismus in einer Gesellschaft um sich greift, wäre dann der ideale Nährboden, um eine gänzlich neue Kultur aufzubauen. Eine Kultur, die nicht länger auf Geschichte und Traditionsbestände rekurriert, sondern die ganz und gar auf die Zukunft ausgerichtet sein würde. Ein solch neuer Typus von Kultur, der dem Zeitalter des Individualismus irgendwann folgen könnte, würde dann allerdings unter ganz neuen Bedingungen entstehen.
Er würde unter den Bedingungen moderner Massenmedien entstehen. Und man muss hinzufügen, auch unter den Bedingungen der modernen Massenüberwachung durch Geheimdienste wie der NSA und anderen. Und schließlich auch unter den Bedingungen der Möglichkeiten der modernen Informations- und Datenanalyse.
So wie Hochleistungsrechner heute komplexe Klimamodelle erstellen können, so ist es auch nicht unmöglich sich vorzustellen, dass in Zukunft aus den unzähligen Daten, die das Internet und die verschiedenen sozialen Netzwerke bereitstellen, auch Entwicklungen und Trends der Gesellschaft und der Kultur berechenbar und vorhersagbar werden. Indem aber die Gesellschaft berechenbar wird, verwandelt sie sich in gewisser Weise in ein Stück Natur, deren Gesetzmäßigkeiten verstanden und manipuliert werden können. Da sich aber sowohl der Großteil der Medien als auch die Großunternehmen des Internets überwiegend in Privatbesitz befinden, fiele diese Macht letztlich einer kleinen Elite zu.
Der Kulturnihilismus als Folge eines schrankenlosen Individualismus ist somit nicht nur deshalb gefährlich, weil er die Komplexität bestehender Kulturformen reduziert. Sondern die Gefahr, die von ihm ausgeht, potenziert sich noch einmal, wenn man den Zeitpunkt seines historischen Auftretens bedenkt. Es ist nämlich ein Zeitpunkt, der mit ganz neuen technischen Möglichkeiten zur Gesellschaftsanalyse und Gesellschafts- und Kulturveränderung einhergeht. Kein Diktator der Vergangenheit verfügte über die technischen Möglichkeiten, die heute durch die Entwicklung des Internets und der modernen Massenüberwachung zur Verfügung stehen.
Können wir, von dieser Perspektive ausgehend, das oben genannte Paradox des neuen Kalten Krieges etwas genauer verstehen? Und können wir von hier aus vielleicht auch verstehen, warum sich die Zivilisation nach dem sogenannten „Sieg“ des Westens im Kalten Krieg so negativ entwickelt hat? Warum der Westen seine eigenen Werte verraten hat? Wagen wir ein Gedankenexperiment.
Die Sowjetunion unter Gorbatschow und Russland unter Jelzin waren von dem Pathos bestimmt, die westlichen Werte zu übernehmen und sich am westlichen System zu orientieren. Beide Staatsmänner glaubten an das politische System des Westens und seine Werte. Ihre Regierungszeit umfasste 15 Jahre. Dennoch hat der Westen Russland nicht in seine Weltordnung integriert, obwohl er sich dadurch selbst hätte stärken können.
Eine westliche Welt, die sich ihren eigenen Werten verpflichtet fühlt, die die Errungenschaften der Aufklärung und der französischen und amerikanischen Revolution verteidigt, die sich auch dem kulturellen Erbe Europas, nämlich seiner Kunst, Philosophie und Religionsgeschichte verpflichtet fühlt, eine solche westliche Welt hätte im Grunde genommen keine Angst davor haben müssen, Russland einen Platz in seinem Haus einzuräumen. Denn Russland ist ein Land, dem der Bezug auf die geistigen Traditionen Europas nicht erst beigebracht werden muss. Das Land ist Teil der europäischen Kultur und hat sie mitgeprägt.
Der Ausschluss Russlands aus Europa, den wir heute als ein erklärtes Ziel der amerikanischen Politik erleben[1], ist entweder Ausdruck einer sehr inkompetenten Politik oder – wenn diese Politik doch nicht einfach nur kurzsichtig und dumm ist – macht sie nur dann Sinn, wenn die Spitze der westlichen Elite sich ihren eigenen universalen Werten eben nicht länger verpflichtet fühlt. Nur wenn der europäische Universalismus zu einer bloßen Fassade geworden ist, hinter der sich letztlich die partikularen Ziele und Interessen einer aus der Globalisierung hervorgegangenen Oligarchie verbergen, nur dann wäre der Ausschluss Russlands aus der westlichen Weltordnung eine rationale Politik.
Doch entwickeln wir unser Gedankenexperiment noch etwas weiter. Was für partikulare Interessen könnten es denn sein, die zusammen mit Russland nicht durchsetzbar wären und die daher den Ausschluss Russlands aus der westlichen Weltordnung verlangten?
Diese partikularen Interessen könnten z. B. darin bestehen, die Techniken der Kulturbeeinflussung, die während des Kalten Krieges entstanden sind, voll auszuschöpfen. Sie nämlich so weit anzuwenden, dass sie allmählich zur Grundlage des Regierens in einer globalen Supragesellschaft werden würden. Diese zukünftige Supragesellschaft könnte dann die Kulturentwicklung dahingehend beeinflussen und lenken, dass die Interessen der Oligarchie darin von Anfang an Berücksichtigung fänden.
Das Interesse jeder Oligarchie hat sich seit jeher auf den Erhalt ihrer eigenen Macht bezogen. Ihre Macht wird durch die Gegenmacht der Gesellschaft begrenzt. Die Macht der Gesellschaft speist sich wiederum aus ihrem kollektiven Bewusstsein und damit aus ihrer Kultur, ihrer historisch gewachsenen Identität, aus dem intellektuellen Erbe vergangener Generationen sowie allgemein aus dem Bildungsgrad und der relativen Homogenität der Bevölkerung.
Eine Oligarchie, die ihre Macht dauerhaft sichern möchte, müsste somit eine negative Kulturpolitik betreiben. Sie müsste eine Kulturpolitik durchsetzen, die die kollektiven Identitäten, historischen Erinnerungen und relative Homogenität der Gesellschaft schwächt und am Ende sogar auflöst. Im 5. bis 8. Teil dieser Folge wurde beschrieben, dass die postmoderne Kulturpolitik, die im Kalten Krieg auf westlicher Seite aufgekommen ist, bereits teilweise diese Merkmale aufweist.
Eine solche negative Kulturpolitik dauerhaft zu etablieren wäre ein Programm, das in der Tat nur gegen und nicht mit Russland durchsetzbar wäre. Denn die russische Gesellschaft zeichnet sich durch ein sehr stark entwickeltes historisches Bewusstsein aus. Und der russische Staat verfügt zudem über sehr viel außenpolitische Erfahrung und eine sehr komplexe Diplomatie. Beide Faktoren verhindern, dass Russland die Kulturpolitik der USA ähnlich wie die Staaten der EU einfach übernehmen könnte. Denn bereits jetzt hat der Widerspruch zwischen modernen und postmodernen Werten zu Spannungen zwischen Russland und dem Westen geführt. Das bekannteste Beispiel ist der Streit um die Punk Band Pussy Riot.[2]
Doch drehen wir das Gedankenexperiment um und versuchen vom gegenteiligen Standpunkt aus zu argumentieren. Gesetzt den Fall, der Westen würde sich dem Erbe der Aufklärung sowie dem Erbe der französischen und amerikanischen Revolution nach wie vor verpflichtet fühlen, welche Weltordnung müsste er dann anstreben? Eine unipolare oder eine multipolare Weltordnung?
In einer Welt mit mehreren Machtpolen und mehreren Zivilisationsmodellen existiert quasi eine globale Gewaltenteilung. Diese führt zu einer wechselseitigen Überwachung. Verletzt ein Akteur die Menschenrechte zu weitgehend oder nimmt die Entwicklung seiner Ideologie eine zu absurde Form an, dann können die anderen Akteure dies ihrerseits in einen Propagandaerfolg ummünzen. Der erste Kalte Krieg liefert hierfür zahlreiche Beispiele.
Die von Stalin angeordneten Säuberungen verletzten die Menschenrechte massiv und verkehrten die ideologischen Aussagen des Marxismus in ihr Gegenteil. Die USA und ihre Verbündeten haben diese Schwäche der UdSSR in den darauffolgenden Jahrzehnten zum zentralen Inhalt ihrer Propaganda gemacht. Die Sowjetunion musste für die Verbrechen Stalins einen schweren Preis zahlen, der noch Jahrzehnte nachwirkte. Umgekehrt verletzten die USA in Vietnam die Menschenrechte, was wiederum der Osten für seine Propaganda ausbeuten konnte. Die USA mussten sich schließlich geschlagen aus Vietnam zurückziehen, weil eine Fortsetzung dieses furchtbaren Krieges von der Weltgemeinschaft nicht mehr geduldet wurde.
In einer mehrpoligen bzw. multipolaren Welt ist durch diese Form der wechselseitigen Überwachung im Grunde genommen sichergestellt, dass keine Macht über einen längeren Zeitraum hinweg und systematisch Menschenrechte verletzen könnte. Und täte eine Regierung dies dennoch, so wäre dafür ein hoher Preis zu entrichten.
Ganz anders verhält es sich dagegen in einer unipolaren Weltordnung. In einer unipolaren Welt gäbe es nur noch ein einziges Zivilisationsmodell, dem die Rolle einer globalen Norm zukäme. Würde es in einer unipolaren Weltordnung zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommen; oder würde die Regierungsmacht schließlich sogar den Eingriff in Naturrechtszusammenhänge vorbereiten, also in Rechtszusammenhänge, die lange vor der Entstehung der ersten Staaten existierten; oder käme es schließlich zur Etablierung einer extrem absurden oder menschenfeindlichen Ideologie, so gäbe es in all diesen Fällen keinen zweiten Machtpol, der zu einer reflektierten Gegenreaktion fähig wäre.
Weil in einer unipolaren Weltordnung kein zweites Zivilisationsmodell mehr existieren würde, könnte sich das bestehende System zu einer Totalität erheben. Da es dem Vergleich mit einer konkurrierenden Werteordnung nicht länger ausgesetzt wäre, könnte es sich viel weiter von dem entfernen, was wir heute als normal und menschlich einstufen. Schließlich würden nicht nur die Verletzung von Menschenrechten, sondern auch der Eingriff in Naturrechtszusammenhänge immer mehr zur realen Möglichkeit werden.
Hinzu kommt noch, dass eine unipolare Weltordnung unter dem Zwang stünde, ihre einmal erreichte Macht zu sichern. Und das naheliegende Mittel, um dies zu erreichen, wäre eine Angleichung und Vereinheitlichung der verschiedenen Kulturräume. Der oben beschriebene Individualismus einer Konsumentenkultur ist ein sehr effektives – wenn auch langsam wirkendes Mittel – dies zu erreichen. Auch Massenmigration beschleunigt die Angleichung verschiedener Kulturen. Der italienische Filmregisseur und Intellektuelle Pier Paolo Pasolini erkannte die Gefahr schon sehr früh, die mit der Kulturnivellierung verbunden ist, und sprach bereits Anfang der 1970er Jahre von einem aufziehenden neuen Totalitarismus, den er auch als Konsumfaschismus bezeichnete.[3]
Darüber hinaus würde eine unipolare Weltordnung vermutlich versuchen, den Informationsfluss zu steuern. Bestimmte Gehalte der Wirklichkeit, der Geschichte sowie bestimmte Traditionszusammenhänge könnten schlicht und ergreifend in die auch heute schon bekannte Schweigespirale des Medienbetriebs fallen und so dem Vergessen preisgegeben werden. Da es keinen zweiten Machtpol in der Welt mehr gäbe, gäbe es auch keine fremden Radio- und Fernsehsender, die hier gegensteuern könnten.
Auch die Möglichkeit von politischen Aktivisten, durch die Etablierung von Blogs, Zeitungen und Radiosendern alternative Informationen bereitzustellen, würde in einer unipolaren Weltordnung wahrscheinlich abnehmen. Da es kein zweites Zivilisationsmodell mehr gäbe, gegenüber dem man sich als fortschrittlich, demokratisch und humanistisch präsentieren müsste, wären der innerstaatlichen Repression in viel geringerem Maße Grenzen gesetzt als heute. Ob das System aufgrund seiner inneren Machtverhältnisse sowie aufgrund seiner Werteordnung in der Lage wäre, zivilisatorische Standards aufrechtzuerhalten, ist eine offene Frage.
Allerdings sollte uns auch hier die Bilanz der letzten 25 Jahre ein mahnendes Beispiel sein. Das geopolitische Machtmonopol, welches der Westen seit dem Mauerfall innehat, ist ihm selbst nicht gut bekommen. Im Vergleich zu jenem Westen, der noch mit der Sowjetunion konkurrieren musste, verfügt der heutige Westen über weniger Demokratie, über deutlich weniger Pressefreiheit, über deutlich weniger soziale Gerechtigkeit und ist durch sehr viel mehr Überwachung gekennzeichnet. Warum sollte sich dieser Verfall in einer dauerhaft etablierten unipolaren Weltordnung nicht fortsetzen?
Wir können daher aus all dem schließen, dass eine westliche Welt, die sich gegenüber ihren eigenen Werten verpflichtet fühlt, das Modell einer multipolaren Welt nicht nur akzeptieren, sondern sogar wünschen sollte. Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass eine westliche Welt, die die unipolare Weltordnung um jeden Preis anstrebt, in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Werteordnung geraten ist.
Was bedeutet dies alles für die Friedensbewegung? Es bedeutet, dass sich diese für eine multipolare Weltordnung einsetzen sollte. Eine Weltordnung, in der auch in Zukunft kein Staat und auch kein Bündnissystem über die ganze globale Macht verfügen sollte. Und wo aufgrund der globalen Gewaltenteilung in einer mehrpoligen Welt Spielräume für eine organische Kulturentwicklung erhalten bleiben. Denn die Kultur ist das, wofür die Menschheit im Wesentlichen existiert, was den Menschen aus der Natur heraushebt und zum Menschen macht. Kultur darf nicht in ein machtpolitisches Instrument der Geopolitik verwandelt werden. Sie hat ihren eigenen Wert. Und nur eine Macht, die dieses reflektiert, könnte sich deshalb dauerhaft auf das Erbe des europäischen Universalismus berufen. Wäre es nicht wünschenswert, wenn sich das Europa der heutigen EU und Russland gemeinsam auf dieses Erbe berufen würden?
Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 1
Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 2
Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 3
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Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 9
Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 10
[1] Georg Friedman, 3. Feb. 2015, Chicago, USA, The Chicago Council on Global Affairs, https://www.youtube.com/watch?v=gcj8xN2UDKc
[2] Vgl. Hauke Ritz, Besitzt der gegenwärtige Konflikt mit Russland eine kulturelle Dimension? Ost / Mag, Ostinstituts Wismar, März 2014, http://www.ostinstitut.de/documents/Besitzt_der_gegenwrtige_Konflikt_mit_Russland_eine_kulturelle_Dimension.pdf
[3] Pier Paolo Pasolini, Enge der Geschichte und Weite der bäuerlichen Welt, in: Freibeuterschriften – Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Berlin 2011, S. 53 ff.